Einsatzgebiet: Die Front des „Intimlebens“

■ Die Stasi zeigte an Frauen weitaus weniger Interesse als an Männern

Das Ministerium für Staatssicherheit war eine paramilitärische Geheimorganisation. Schon deswegen war ihr Frauenbild, gemessen an der gebotenen „Gleichstellung von Mann und Frau“, vermutlich rückständiger als in anderen DDR-Apparaten, die zumindest einer relativen öffentlichen Kontrolle unterlagen. Auch wenn sich zu Themenbereichen wie „Stellung der Frau in der Stasi“ oder „Umgang der Stasi mit Frauen“ im Zentralarchiv keine offiziellen Dokumente finden, sprechen die MfS- Akten Bände über den Männerbund Stasi.

Frauen wurden dort nicht prinzipiell ausgeschlossen, doch bildeten sie – auch zahlenmäßig – eine unbedeutende Minderheit. Unter den hauptamtlich Beschäftigten (MA) waren 15 Prozent Frauen, viele von ihnen Ehefrauen, Töchter oder sonstige Verwandte von MfS-Offizieren. Diese Form der Rekrutierung erleichterte nicht nur die Sicherheitsüberprüfungen bei der Einstellung. Auch ließ sich das Privatleben der MA so besser kontrollieren. Renate Ellmenreich, Mitarbeiterin der Gauck-Behörde in der Außenstelle Gera, hat Berichte über MA gesichtet. Ein Beispiel: Die Eheleute Z. arbeiten beide beim MfS. Eines Tages teilt Herr Z. dem Leiter der Kreisdienststelle mit, daß er den Eindruck habe, seine Frau sei medikamentenabhängig. Der KD- Leiter schickt den Vertragsarzt zu Frau Z. Der weist sie gegen ihren Willen wegen „Psychosen“ in die psychiatrische Klinik ein. Der Klinikchef meldet dem KD-Leiter, Frau Z. sei psychisch nicht krank, vielmehr gäbe es in der Ehe Probleme. Daraufhin wird „die Genn. Z. im Anschluß an die durchgeführten Maßnahmen ihrem Ehemann übergeben“. Das Ehepaar Z. erhält vom Vorgesetzten „eine Reihe Hinweise über die Gestaltung ihres weiteren Lebens und ihrer Ehe“. Außerdem wird Frau Z. „deutlich gemacht, daß bei weiteren Vorkommnissen, die das MfS schädigen (Suizidabsicht), ihre Entfernung aus dem MfS erfolgt“. Die „Firma“ funktionierte wie ein paternalistischer Familienbetrieb.

Die weiblichen MA arbeiteten als Schreibkräfte, in der Küche, als Putzfrauen. In den Status eines „operativen Mitarbeiters“ oder eines „Führungsoffiziers“ gelangten nur einzelne. Denn für die unmittelbare „Arbeit am Feind“, als „tschekistische Kämpfer“, hielt man sie nur für bedingt brauchbar. So gab es auch unter den rund 173.000 „Informellen Mitarbeitern“ (1988/89) nur 10 bis 15 Prozent Frauen. Die meisten fanden sich in der untersten Kategorie „Gesellschaftliche Mitarbeiter“, die vor allem im direkten beruflichen und sozialen Umfeld auf Stimmungs- und Meinungsfang ging.

Die Überprüfung bis zur Verpflichtung dauerte bei weiblichen IM in der Regel länger, weil man von einer „allgemeinen Unzuverlässigkeit“ bei Frauen ausging. In einer internen Dienstanweisung wird die ideale IM beschrieben: Sie soll zwischen 20 und 40 Jahre alt sein, „fraulich, gepflegt, nicht zu auffällig“, berufstätig, alleinstehend oder geschieden, ohne Kinder, aber mit eigener Wohnung und bereit, auch intime Beziehungen aufzunehmen. Aus den Akten in Gera ist zu entnehmen, daß Frauen oft sehr jung geworben und auch früher wieder „archiviert“ wurden – wegen „Schwatzhaftigkeit“, „Unehrlichkeit“ oder „Nichteignung“; letzteres häufig, wenn sich ihre familiären Verhältnisse änderten.

Es gibt bislang keine fundierten Erkenntnisse darüber, für welche Aufgaben speziell weibliche IM verwendet wurden. Doch lag eines ihrer Einsatzgebiete an der „Angriffsfront Intimleben“. Auch wenn der Begriff Prostitution nirgends auftaucht: die Stasi hat Frauen, die in den Devisenhotels oder auf der Leipziger Messe sexuellen Kontakt mit Männern aus dem „nicht-sozialistischen Ausland“ pflegten, massiv angeworben. Weibliche IM wurden gezielt auf diesen „operativ interessierenden“ Personenkreis angesetzt. Diese Doppelmoral spiegelt sich auch in Berichten über Frauen. Ihr Sexualleben erfährt eine ganz andere Bewertung als das der Männer: „leichtes Mädchen“, „hält viel von der freien Liebe“ oder „hat keine Männerbekanntschaften“.

Generell gesehen hielt sich das Interesse des MfS an Frauen gering, nicht nur, was ihre Rolle als Mitarbeiterinnen anging. Auch als „Feind“ waren sie zweitrangig. So wurden beispielsweise in der Bezirksverwaltung Gera im Jahre 1989 in 121 „operativen Vorgängen“ 158 Männer „bearbeitet“, aber nur 10 Frauen. Allerdings waren bei 30 Männern die Ehefrauen gleich miterfaßt. Ulrike Helwerth