Hohes Risiko für die Anklage

■ Heute beginnt der Prozeß gegen Birgit Hogefeld, die 1993 in Bad Kleinen festgenommen wurde. Die Ankläger legen ihr vier Morde zur Last, Hogefelds Anwälte setzen auf "konventionelle" Verteidigung. Wolfgang...

Heute beginnt der Prozeß gegen Birgit Hogefeld, die 1993 in Bad Kleinen festgenommen wurde. Die Ankläger legen ihr vier Morde zur Last, Hogefelds Anwälte setzen auf „konventionelle“ Verteidigung. Wolfgang Grams' Tod wird ein Hauptthema sein.

Hohes Risiko für die Anklage

Die Zeiten ändern sich. Noch vor zehn Jahren wäre Birgit Hogefeld schon am ersten Tag ihres Prozesses eine mehrfach lebenslängliche Freiheitsstrafe so sicher gewesen wie das Amen in der Kirche. Anklage und Urteil lagen in den RAF-Verfahren stets nah beieinander. Und den Angeklagten war es vor den Schranken des Gerichts nicht um ihre Verteidigung zu tun, sondern um die Entlarvung ihrer Richter – als Büttel der Klassenjustiz. Beim Prozeß gegen die im letzten Jahr in Bad Kleinen festgenommene RAF-Aktivistin, der heute vor dem 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt eröffnet wird, könnte es anders laufen.

Die Vorwürfe lesen sich allerdings wie früher: Vierfachen vollendeten und mehrfachen versuchten Mord, dazu eine Latte anderer schwerer Straftaten legt die Bundesanwaltschaft Hogefeld zur Last. Darunter die hinterhältige Ermordung des jungen GIs Edward Pimental, mit der die RAF 1985 auch ihre unkritischsten Bewunderer verstörte – der GI wurde in einer Diskothek angesprochen und in einem Waldstück durch Nackenschuß getötet. Die RAF nutzte seine Identitätskarte für ihren Anschlag in Ramstein am folgenden Tag. Weitere Anklagepunkte: die Zündung einer Autobombe auf der Frankfurter US- Airbase am folgenden Tag, bei der ein zweiter US-Soldat und eine Zivilangestellte starben. Der gescheiterte Anschlag auf den heutigen Bundesbankchef Hans Tietmeyer und seinen Fahrer im September 1988. Die Sprengung des Gefängnisneubaus Weiterstadt (Sachschaden: 130 Millionen Mark). Schließlich der Tod des GSG-9- Beamten Michael Newrzella bei der Aktion von Bad Kleinen.

Eigentlich sollte das reichen, Birgit Hogefeld lebenslang hinter Gitter zu bringen und obendrein die besondere „Schwere der Schuld“ festzuschreiben – ein solches Verdikt schließt eine „vorzeitige Entlassung“ nach 15 Jahren Haft praktisch aus.

Birgit Hogefelds Verteidigungsstrategie

Doch so einfach liegen die Dinge nicht. Denn Birgit Hogefeld scheint entschlossen, sich „konventionell“ zu verteidigen, ohne den politischen Hintergrund des Verfahrens aus den Augen zu verlieren. „Wir bemühen uns um Sachaufklärung, wir fordern ein faires Verfahren“, beteuert die Frankfurter Anwältin Ursula Seifert, die Hogefeld gemeinsam mit ihrem Kollegen Berthold Fresenius vertritt. Was wie eine Selbstverständlichkeit klingt, könnte die Karlsruher Ankläger in ungewohnte Schwierigkeiten bringen. Durch Hogefelds Verteidigungsstrategie sind die Bundesanwälte gezwungen, nicht nur die Mitgliedschaft der Angeklagten in der RAF nachzuweisen (die sie nicht bestreitet), sondern auch ihre konkreten Tatbeiträge in jedem einzelnen Punkt der Anklage. Und die sind keinesfalls geklärt.

Eine unmittelbare, tätliche Beteiligung an der Ermordung Pimentals wird Hogefeld ebenso wenig vorgeworfen wie im Fall des Attentatsversuchs auf Tietmeyer. Die Beschuldigte soll bei den Anschlägen benutzte Autos gekauft beziehungsweise angemietet haben. Zum Beweis führt die Bundesanwaltschaft Schriftgutachten des Bundeskriminalamts und eine Gegenüberstellung mit Zeugen nach ihrer Verhaftung an. Beide Indizien hält die Verteidigung für wenig stichhaltig. Die Gegenüberstellung sollte kurz nach Birgit Hogefelds Verhaftung verdeckt, also ohne ihr Wissen, über die Bühne gehen. Die Angeklagte bemerkte jedoch, was gespielt wurde, und hielt den Arm vors Gesicht. Eine Zeugin identifizierte sie trotzdem als die Person, die sechs Jahre zuvor das Auto für den Tietmeyer- Anschlag angemietet habe.

Daß die Bundesanwaltschaft Hogefeld wegen dieser Art der Tatbeteiligung als Mittäterin verurteilt sehen will und nicht nur wegen des minderschweren Straftatbestands der Beihilfe, bezeichnen ihre Verteidiger als „rechtlich ungewöhnlich“. Die Ankläger hätten es nicht einmal für nötig befunden, diesen gravierenden Unterschied in der Klageschrift zu diskutieren, ärgert sich Ursula Seifert.

Derartige „Nachlässigkeiten“ der Bundesanwälte sind nur historisch zu verstehen. Denn alte Übung in RAF-Verfahren war es schon in den siebziger Jahren, die von der Untergrundgruppe hochgehaltene These vom „Kollektiv RAF“ für bare Münze zu nehmen. Der Staat, der den linken Revolutionären sonst nichts glaubte, war hier von der Wahrhaftigkeit der Terroristen überzeugt. Ergebnis: Weil Absprachen über Anschlagsziel und Durchführung stets im „Kollektiv“ erfolgten, sei auch jedes RAF-Mitglied gleichermaßen verantwortlich, ob es nun Autos angemietet, Pässe gefälscht oder die Bombe gezündet habe.

In Wirklichkeit stand die „Kollektivitätsthese“ von jeher auf tönernen Füßen. Die 1990 in der DDR festgenommenen RAF- Aussteiger berichteten fast übereinstimmend über knallharte Hierarchien in der Gruppe. Es sei geradezu ein Prinzip gewesen, nicht alle über alles im vorhinein zu unterrichten.

„Unser Thema ist Bad Kleinen“

Ein weiterer Anklagepunkt hat in der linken Szene Empörung und in der Öffentlichkeit Unverständnis ausgelöst: der Vorwurf des Mordes an dem GSG-9-Beamten Newrzella. Denn nicht einmal die Bundesanwaltschaft bestreitet, daß die Beschuldigte schon gefesselt und mit einer Kapuze über dem Kopf in der Bahnhofsunterführung lag, als oben auf den Gleisen die ersten Schüsse fielen. „Unser Thema ist Bad Kleinen“, sagt darum Ursula Seifert. Diese Aktion wird bei dem Prozeß im Zentrum des öffentlichen Interesses stehen.

Die Bundesanwaltschaft begründet ihren Mordvorwurf mit der These vom „bewußten und gewollten Zusammenwirken“ zwischen Hogefeld und Wolfgang Grams. Der Mord sei „der Angeschuldigten als Mittäterin zuzurechnen“, weil sie und Grams zuvor vereinbart hätten, sich bei einer drohenden Festnahme „gegenseitig Schützenhilfe zu geben und den Fluchtweg freizuschießen“. Man darf gespannt sein, wie die Bundesanwälte diese Behauptung belegen wollen.

Denn so unbezweifelbar es eine solche Absprache in der Geschichte der RAF gegeben hat, so zweifelhaft erscheint es, ob sie im Juni 1993 noch Bestand hatte. Immerhin hatte die RAF im April 1992 eine fundamentale Kehrtwende verkündet, die darauf hinauslief, künftig Menschenleben zu schonen. Wer kann wissen, ob die „neue Politik“ nicht auch auf das Verhalten in Festnahmesituationen durchschlug? Beispielsweise dadurch, daß jeder im Ernstfall eigenverantwortlich entscheiden müsse, wie er oder sie sich verhält.

Grams' Tod: so ungeklärt wie am ersten Tag

Der Prozeß gegen Birgit Hogefeld birgt für die staatlichen Ankläger ein hohes Risiko. Denn die Angeklagte wird den Tod ihres Lebensgefährten Wolfgang Grams zum Thema machen. Dessen Umstände sind nach den von Grams' Eltern veranlaßten kriminologischen Gutachten, aber auch nach einer neuen Untersuchung des Republikanischen Anwältinnenvereins so ungeklärt wie am ersten Tag. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens gegen einige der beteiligten GSG-9-Beamten wegen Verdachts der Tötung des bereits schwerverletzten Wolfgang Grams ist dennoch nicht in Sicht.

Der Staat als Angeklagter, Birgit Hogefeld als Anklägerin – die Gefahr eines solchen Rollentauschs ist der Bundesanwaltschaft durchaus bewußt. Bereits seit April vollzieht sich zwischen Hogefelds Verteidigern und dem Gericht ein langwieriges Gezerre um die vollständige Einsicht in die Bad-Kleinen-Akten. Über eine Beschwerde, die seit Ende Oktober beim Bundesgerichtshof liegt, ist noch nicht entschieden. Die gesperrten Aktenteile bleiben vorerst geschlossen.

Klar ist: Wer Birgit Hogefeld wegen Bad Kleinen verurteilen will, der muß ertragen, daß die offenen Fragen dieser blutigen Episode in diesem Prozeß ausführlich verhandelt werden. Das entspricht im übrigen einem vitalen Interesse der Öffentlichkeit. Denn solange die Ankläger vor einer Wiederaufnahme des Verfahrens gegen die GSG-9-Einheit von Bad Kleinen zurückschrecken, solange bleibt dieser Prozeß die einzige Gelegenheit zur öffentlichen Erörterung des Anti-Terror-Einsatzes von Bad Kleinen. In Frankfurt steht nicht nur Birgit Hogefeld vor Gericht. Gerd Rosenkranz