Das nackte Leben, sonst nichts

■ Vom Ringen osteuropäischer Theater um den harten Realismus: eine Diskussion

Halbzeit für das „Prisma“-Festival in Oldenburg: die Kulturetage hallt wider von Sprachfetzen in Bulgarisch, Rumänisch, Polnisch, Albanisch und immer wieder geradebrechtem Englisch. Die Thea-terstücke aus Osteuropa, der „Terra Incognita“, versteht sprachlich niemand. Um so eindringlicher wirken daher die Bilder. Offenbar be- wahrheitet sich hier der Mythos von der Kunst als Weltsprache: Die Veranstaltungen waren bislang restlos ausverkauft. Damit ist „Prisma“ nicht nur ein Publikumserfolg. Beinahe wichtiger: Es ist ein gelungenes Treffen von Schauspielern, Regisseuren, Journalisten, die sich im Balkan nicht begegnen konnten. Auf einer Diskussionsveran-staltung am Sonntag durchschritten sie „die Mühen der Ebene“ zum Austausch, jenseits nationaler Fehden.

Bei aller Unterschiedlichkeit hat die Kulturlandschaft dieser Länder eines geimeinsam: Es gibt kein Geld. An Sponsoren etwa – hier geläufig – ist nicht zu denken und die Kooperation freier Gruppen und Autoren mit den Nationaltheatern bringt unerwünschte Kontrollen und Kompromisse nit sich. Denn die staatlichen Bretter stünden noch in der Tradition Stanislawskis und in der Pflicht des totalitären „Autismus“, erklärte die bulgarische Journalistin Alina Cadariu. Es wurde eine Realität inszeniert, die – im krassen Widerspruch zum Alltag der Menschen – Ideologie als Wahrheit verbrät. Die eigentliche künstlerische Aussage konnte nur verschlüsselt mitgeteilt werden.

Ein differenzierter Umgang mit Sprache indes kann nur jenseits der Nationaltheater gelingen, etwa in freien Theaternetzwerken, hofft Alina Cadariu. Aber diese Hoffnung steht derzeit noch auf einem weißen Blatt: Während der Jahre der Diktatur wurden zum Beispiel in Rumänien 95 Prozent der Intelligenz liquidiert.

Westeuropäische Dramatiker, so stellten es die Diksutanten dar, dienen den Freien als Vorlage, denn es gebe keine eigene Theatersprache mehr. Dabei existiere ein Hunger nach brachialer, realistischer Darstelltung, die den ideologischen Riß im Selbstbild der Menschen füllen soll.

Da wird also im „Theatrul Odeon“ (Rumänien) nicht nur metapho risch gekotzt und geschissen – die SchauspielerInnen bringen sich wirklich nackt auf die Rampe. Ihre Inszenierung von Arrabals „...und sie legten den Blumen Handschellen an“ wirkte im puritanischen Kommunismus als ein Skandal. Was im westlichen Theater ästhetisiert und metaphorisch entrückt zubereitet wird, springt hier als nackte Alltagserfahrung das Publikum an. Zumal die Zuschauer in Oldenburg, mangels weiterer Sprachkenntnisse, ganz auf die Kraft der Bilder fixiert waren. Am Ende konnte kein Applaus die Sinne von den heftigen Angriffen eines solchen Theaters entlasten.

Als Theater an der Schwelle einer Gesellschaft, die gerade im Umbruch steckt, stellte sich auch „Alabanska Drama“ aus Albanien heraus. Da wälzt sich ein fetter, selbstgefälliger „Baal“ als moderner Autist durch ein Panoptikum skurriler, schambeschwänzter Gestalten, bei denen Fellini Pate gestanden haben könnte. In allen Stücken regiert eine kärgliche Ausstattung. Der Blick wird aufs Wesentliche gelenkt, den Menschen an sich, nichts weiter. Marijke Gerwin