Kinder werden Schnupper-Deutsche

■ Die Bonner Koalition verständigt sich auf die Einführung einer „Kinder-Staatszugehörigkeit“ für junge ImmigrantInnen / Generelle doppelte Staatsangehörigkeit weiterhin abgelehnt

Berlin (dpa/AFP/taz) – Ausländische Kinder sollen schon bald die gleichen Rechte erhalten wie deutsche. Voraussetzung dafür ist allerdings, daß mindestens ein Elternteil in Deutschland geboren ist und daß beide Elternteile seit mindestens zehn Jahren in Deutschland leben. Auf diesen Kompromiß einigten sich CDU, CSU und FDP in ihren Koalitionsverhandlungen. Eine generelle Möglichkeit zur doppelten Staatsbürgerschaft für ImmigrantInnen soll es nach dem Willen der Koalition dagegen nicht geben.

Der Regelung sieht vor, daß die betroffenen Kinder zusätzlich zur ausländischen Staatsangehörigkeit eine „Staatszugehörigkeit“ erhalten, mit der sie auch deutsche Reisedokumente erhalten, erläuterte der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, Hermann Otto Solms: „Das Kind kann sich Deutscher nennen.“ Mit der Vollendung des 18. Lebensjahres müssen die Jugendlichen dann entscheiden: Entweder sie verzichten auf die deutsche „Staatszugehörigkeit“ und behalten ihren ausländischen Paß, oder sie werden Deutsche, geben dann aber die Staatsbürgerschaft ihres Heimatlandes auf.

Solms nannte die gewählte Lösung einen für die Liberalen akzeptablen Kompromiß. Die doppelte Staatszugehörigkeit sei gewählt worden, um eine vollständige Integration ausländischer Kinder in Deutschland zu erreichen. Der FDP-Fraktionschef sagte, aus dem Status des Kindes lasse sich anders als bei der vollen Staatsbürgerschaft kein Abschiebeschutz für nahe Verwandte ableiten, beispielsweise für den Vater, wenn dieser sich in Deutschland strafbar mache.

Die „Kinder-Staatszugehörigkeit“ solle nicht die Qualität einer Staatsangehörigkeit haben, so Bayerns Innenminister Beckstein bei einem Besuch in Ankara gestern. Die Möglichkeiten des Familiennachzugs sollen für die Betroffenen nicht gelten. Er nannte das ungewöhnliche Modell „eine Art Schnupper-Staatsangehörigkeit“. Bisher, so Beckstein, habe ein in Deutschland lebendes ausländisches Kind beispielsweise bei einer Klassenfahrt nach Österreich ein Visum beantragen müssen. Dies werde nun wegfallen. Erleichterungen gebe es zudem bei Sozialleistungen sowie Studien- und Ausbildungsplätzen. Eine Doppelstaatsangehörigkeit wäre dagegen „eine gefährliche Fehlentwicklung gewesen“.

Für die große Mehrheit der ImmigrantInnen ändern die Bonner Koalitionspläne überhaupt nichts. Sie müssen – sollten sie die restriktiven Einwanderungsvoraussetzungen überhaupt erfüllen – weiterhin entscheiden, ob sie die bundesdeutsche Staatsangehörigkeit erhalten möchten oder ihren bisherigen Paß behalten.

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Cornelie Sonntag nannte den Koalitionskompromiß dagegen einen „kleinen, aber gänzlich unzureichenden Schritt nach vorn“. Er sei ein Armutszeugnis für ein Regierungsbündnis, das weitere vier Jahre lang die Geschicke eines Landes mit fast sieben Millionen Ausländern leiten wolle, erklärte Sonntag in Bonn. Für die dringend nötige bessere Integration der in Deutschland lebenden Ausländer sei mehr nötig. Erforderlich seien die Hinnahme der doppelten Staatsbürgerschaft, verbriefte Ansprüche auf Einbürgerung nach einem Aufenthalt von mehr als acht Jahren sowie das kommunale Wahlrecht auch für Ausländer aus Staaten außerhalb der Europäischen Union. klh Kommentar Seite 10