Passagiere des Fluges 103

■ "Sie werden den Film nicht unterdrücken können" - Ein Gespräch mit dem US-Regisseur und Produzenten Allan Francovich, dessen Dokumentarfilm "The Maltese Double Cross" auf politischen Druck vom Londoner...

taz: In Ihrem Film, „The Maltese Double Cross“, behaupten Sie, nicht Libyen sei verantwortlich für den Absturz des Pan-Am- Fluges 103 am 21. Dezember 1988 über Lockerbie, sondern Syrien. Wie sind Sie auf diese Geschichte gestoßen?

Allan Francovich: Vor etwa zwei Jahren erhielt ich von jemandem einige Informationen über den Bombenanschlag, denen ich auf den Grund gehen wollte. Es stellte sich heraus, daß diese Behauptungen nicht haltbar waren, aber bei meinen Recherchen stieß ich auf die Tatsache, daß die Passagierliste des Fluges 103 in Frankfurt den Namen des damaligen südafrikanischen Außenministers Pik Botha enthielt, der sein Ticket jedoch in letzter Minute storniert hatte. Von dem Moment war ich an der Sache interessiert.

Was haben Sie bei Ihren Recherchen herausgefunden?

Die Strecke der Pan Am 103 wurde oft für den kontrollierten Drogenschmuggel unter Aufsicht der CIA und der US-amerikanischen Drug Enforcement Agency (Drogenfahndung, d. Red.) benutzt. Das war Teil einer größeren Operation, um die westlichen Geiseln im Nahen Osten freizubekommen. Eine wichtige Rolle spielte dabei ein Syrer, der in den sechziger Jahren wegen Drogengeschichten im Gefängnis in Großbritannien saß. Der britische Geheimdienst MI 6 rekrutierte ihn und machte ihn mit Andrew Green bekannt, der später britischer Botschafter in Syrien wurde. Dieser stellte den Kontakt zu Oliver North her. In den USA war Vincent Cannistraro von der CIA maßgeblich an der Aktion beteiligt. Er war in den achtziger Jahren von North beauftragt worden, Ghaddafi zu ermorden. Man mußte jedoch jemanden finden, dem man die Schuld in die Schuhe schieben konnte.

Wie sind die Drogen geschmuggelt worden?

Sie waren in einem Kassettenrecorder verborgen. Agenten sorgten dafür, daß der Recorder ungehindert an Bord gelangte. Dem US-Geheimdienst war klar, daß diese Hintertür von Leuten benutzt werden könnte, um eine Bombe an Bord zu schmuggeln. Die Drug Enforcement Agency war von der syrischen „Popular Front for the Liberation of Palestine – General Command“ des Ahmad Jibril unterwandert, und der Drogenkurier Khalid Jaafar schmuggelte die Bombe unwissentlich an Bord. Die Strukturen in Deutschland, die damals benutzt wurden, sind heute noch intakt. Nach dem Anschlag auf den Pan- Am-Flug 103 haben Großbritannien und die USA versucht, die Kontakte der westlichen Geheimdienste mit den syrischen Terroristen zu vertuschen. Drei Stunden nach der Explosion war die Gegend um die Absturzstelle in Lockerbie von US-Geheimdiensten mit Scharfschützen abgeriegelt. Sie zerstörten die Beweise, das bestätigen zahlreiche Quellen in der schottischen Polizei, die darüber äußerst erbost sind.

Wie kam es, daß die Firma Lonrho und deren Direktor Tiny Rowland, der enge Geschäftsbeziehungen zu Colonel Ghaddafi unterhält, Ihren Film finanzierten?

Ich hatte einem Journalisten des Observer erzählt, daß sich Pik Bothas Name auf der Passagierliste befand. Der Observer gehörte damals noch Lonrho, und der Journalist machte den damaligen Lonrho-Direktor Tiny Rowland darauf aufmerksam. Rowland hatte geschäftliche Kontakte in Südafrika, die er nutzte, um das nachzuprüfen. Er kam aus Johannesburg mit der Information zurück, daß nicht nur Pik Botha, sondern auch der damalige Verteidigungsminister, der Chef des Geheimdienstes und fünfzehn weitere südafrikanische Geheimdienstler auf der Passagierliste standen. Sie wollten nach New York zu Verhandlungen über Namibia, erhielten jedoch aus zuverlässiger Quelle eine ausdrückliche Aufforderung, das Flugzeug nicht zu besteigen.

Die Warnung kam entweder von der CIA, vermutlich jedoch vom israelischen Geheimdienst Mossad, der versuchte, den Bombenanschlag zu verhindern, ohne dadurch seine Agenten in den palästinensischen Organisationen auffliegen zu lassen. Rowland bestellte mich dann in sein Büro. Ich hatte einen erfolgreichen Film über Gladio (die klandestine Eingreiftruppe, die die Nato in mehreren europäischen Ländern unterhielt und die dann mit einem Skandal aufflog, d. Red.) gedreht, und Rowland bot mir an, den Lockerbie-Film zu finanzieren. Der Lonrho-Vorstand segnete das Projekt einstimmig ab.

Wußten Sie von Rowlands Verbindungen mit Libyen?

Ja, ich wußte davon. Rowland sagte, er wollte unbedingt herausfinden, ob Ghaddafi etwas mit dem Bombenanschlag zu tun hatte – eben wegen seiner Geschäftsverbindungen. Er sagte, er sei auch in Libyen gewesen und habe Ghaddafi gesagt, daß er Nachforschungen anstellen würde. Ich habe mir von Anfang an sämtliche Freiheiten bei dem Film zusichern lassen, um jegliche Einmischung von vornherein auszuschließen.

Gab es Einmischung von anderer Seite?

Das britische Außenministerium versuchte, Druck auf den Lonrho-Vorstand auszuüben, der im vergangenen Dezember die Finanzierung einstellte, nachdem man das Projekt zuvor einstimmig genehmigt hatte. Tiny Rowland bekam Besuch von Douglas Hogg, dem Staatssekretär im Außenministerium. Hogg warnte Rowland, daß er im Gefängnis landen werde, falls er diesen Film finanzierte. Rowland ließ sich aber nicht einschüchtern. Ich glaube, deshalb ist Rowland auch vor kurzem gezwungen worden, aus dem Lonrho-Vorstand zurückzutreten.

Hat man Ihnen beim Drehen Schwierigkeiten gemacht?

Während wir den Film drehten, wurden wir ständig von den Geheimdiensten beschattet. Sie versuchten, die Arbeit zu sabotieren. So wurde zahlreichen Zeugen nahegelegt, nicht mit uns zu sprechen.

Im Frühjahr wollte Channel 4 den Film ausstrahlen, setzte ihn aber kurz vor dem Sendetermin ohne Begründung ab. Außerdem wurden immer wieder Zeitungsartikel lanciert, die den Film denunzierten, zuletzt im Evening Standard vom 9. November.

Darin heißt es, Sie würden Ihre Beweise der schottischen Polizei zur rechten Zeit übergeben. Wann ist die rechte Zeit?

Das Zitat ist falsch. Der Autor Alan George wußte genau, daß sowohl der UN-Generalsekretär als auch die Angehörigen der Opfer den Film gesehen haben. Ihr Sprecher, Dr. Jim Swire, schrieb einen Leserbrief und stellte klar, daß die Angehörigen dankbar sind für jede Hilfe, die sie bei der Suche nach der Wahrheit über den Absturz von Flug 103 bekommen können.

Swire sagt, wenn der Film die Wahrheit berichtet, dann handle es sich um die größte Vertuschungsaktion von höchsten Stellen in Amerika, Deutschland und Großbritannien. Der Reporter George zitiert dagegen einen Brief von 82 angeblichen Verwandten und Freunden der Lockerbie-Opfer, die gegen den Film protestieren. George wußte, daß dieser Brief von einer Frau verfaßt wurde, die fälschlicherweise behauptet hat, sie habe ihren Verlobten bei dem Anschlag verloren. Zahlreiche Zeitungen haben sich geweigert, den Brief abzudrucken, wenn man ihnen nicht die Telefonnummern der Unterzeichner zur Verfügung stellt, damit sie die Echtheit nachprüfen können. Ich berate mich zur Zeit mit meinen Anwälten, ob ich juristische Schritte einleiten soll.

Ich stelle es mir recht schwierig vor, die ganze Geschichte filmisch umzusetzen. Wie sind sie dabei vorgegangen?

Der Film ist zwei Stunden und 45 Minuten lang. Wir haben mit 50 oder 60 Leuten gesprochen, darunter den Angehörigen von Khalid Jaafar, dem jungen Mann, der die Bombe unwissentlich an Bord gebracht hat und getötet wurde. Wir haben im Libanon, auf Zypern, in Libyen, Großbritannien, Frankreich, Deutschland und Schweden gedreht und viel Archivmaterial benutzt, das wir angekauft haben.

Der Film sollte am nächsten Sonntag auf dem Londoner Filmfestival Weltpremiere haben, wurde jedoch am vergangenen Donnerstag überraschend abgesetzt. Hat man Ihnen den Grund dafür mitgeteilt?

Die Direktoren des Londoner Filmfestivals waren von dem Film begeistert und wollten ihn unbedingt zeigen. Es war nicht ihre Entscheidung, ihn abzusetzen. Offizielle Begründung ist, daß Michael Hurley von der zypriotischen Niederlassung der amerikanischen Drug Enforcement Agency Klage gegen das Buch „Trail of the Octopus“ eingereicht hat. Der Autor, der ehemalige CIA-Agent Lester Coleman, kam darin zu ähnlichen Schlüssen über den Lockerbie-Absturz wie ich. Man kann sich ausrechnen, woher der Druck auf das Londoner Filmfestival kam, das dem British Film Institute untersteht.

Wo wird der Film nun zu sehen sein?

Sie werden den Film nicht unterdrücken können, er wird auf Filmfestivals in 35 Ländern zu sehen sein. Das Interesse ist sehr groß. Der Film wird wahrscheinlich auch auf der Berlinale laufen. Ich treffe mich in den nächsten Tagen deshalb mit Ulrich Gregor vom Forum des jungen Films. Interview: Ralf Sotscheck