Darf das Bio sein?

Ökologisch angebaute Lebensmittel erobern die deutschen Supermärkte: Die Riesenhöfe des Ostens leiten eine ideologische Wende ein  ■ Von Jantje Hannover

Berlin (taz) – Wenn Diplomlandwirt Doktor Gotthard Porsche auf seinen Acker will, muß er ins Auto steigen. 1.200 Hektar im Naturpark Müritz hat der ehemalige LPG-Vorsitzende gepachtet. Er ist Gesellschafter der Kargow/Waren GmbH, die er mit zwei ehemaligen Genossen und acht Angestellten betreibt. „Das sind Herfordrinder aus England“, sagt er und zeigt aus dem Wagenfenster. Zwischen heimischen Schwarzbunten, Uckermärkern und Fleckvieh stehen sie malerisch auf den Mecklenburger Weiden, die hier von Hecken und Wäldern umgeben sind.

Die glücklichen Kühe von der Müritz zählen zu den wenigen in Deutschland, die unter artgerechten Bedingungen gezüchtet werden. Das haben sie dem Extensivierungsprogramm der EG zu verdanken: Seit 1989 werden damit Höfe gefördert, die bereit sind, ihren Hektarertrag für mindestens fünf Jahre um zwanzig Prozent zu reduzieren – zum Beispiel durch Umstellung auf ökologische Landwirtschaft. Seit dem Wirtschaftsjahr 1991/92 löst das Programm in den neuen Bundesländern einen wahren Bioboom aus. Die Prämie von bis zu 500 Mark ist insbesondere den Betrieben auf armen Böden willkommen.

Im gesamten Bundesgebiet werden heute etwa 200.000 Hektar ökologisch beackert. Gewiß eine Entlastung für die Umwelt und die Überschüsse der EU, nur fragt sich jetzt, wie die neuen Bio-Berge in die Einkaufstüten kommen? In Deutschland erreichen Ökoartikel bislang nur einen Anteil von 1,5 Prozent an den Gesamtausgaben für Lebensmittel. In den letzten Jahren mußten deshalb große Mengen als konventionelle Ware vertrieben werden.

Manon Haccius, Geschäftsführerin der „Arbeitsgemeinschaft Ökologischer Landbau“ (AGÖL), spricht von „logistischen Akrobatenstücken“. Besonders schwierig gestaltet sich der Vertrieb von Biomilch, deren Erfassung gerade auf den kleinen westdeutschen Höfen kilometerlange Rundfahrten erforderlich macht. Über die Hälfte geht heute im konventionellen Milchsee unter. „Hacke statt Giftspritze“ lautet die Devise, und sie kostet vor allem Arbeitskraft. Im Schnitt haben die Biobauern 1993 pro Hektar 234 Mark Löhne ausgezahlt, ihre konventionellen nur 76 Mark. Dazu kommen Ertragsausfälle. Bei ähnlichen Standortbedingungen ernten die Biobteriebe zum Beispiel statt 60 Doppelzentner Weizen je Hektar durchschnittlich nur 35, bei Kartoffeln sogar weniger als die Hälfte.

Die größten Preistreiber sind jedoch die aufwendigen Verarbeitungs- und Vermarktungswege. So erhalten Biobauern in der Molkerei nur 15 Pfennig Aufschlag für ihre Milch – im Laden kostet sie über eine Mark mehr. Mit dem wachsenden Überangebot werden auch die Preise sinken – beim Getreide sind sie in den letzten zwei Jahren bereits um 15 Mark auf 60 bis 70 Mark pro Doppelzentner gefallen. Aber mit den immer zahlreicheren Biohöfen sinken auch die Kosten für das getrennte Einsammeln der Produkte: Biologischer Anbau wird rationalisierbar.

Ökopioniere aus dem Westen staunen. Sie mußten ihre Höfe ohne staatliche Hilfe umstellen. Die Steine bei der Vermarktung haben sie und ihre Gefolgschaft sich jedoch selbst in den Weg gelegt: In der Naturkostszene war lange Zeit alles verpönt, was nach kapitalistischem Handel roch. Eher war man bereit, höhere Preise zu zahlen und lange Wege in Kauf zu nehmen. Umweltfreundliche Ernährung war eine Gesinnungsfrage. In Westdeutschland wurde vorzugsweise direkt ab Hof vermarktet. Der Rest wanderte in die Naturkostläden, die das oft lückenhafte Angebot mit ausländischer Ware ergänzen mußten.

Ein Weg, der für den Osten nicht gangbar ist: auf der Sorgenliste der Ossis rangiert die gesunde Ernährung weit unten. Kein Wunder, daß gerade von den Neueinsteigern in die Marktwirtschaft die Impulse für neue Vermarktungswege kommen. Vorreiter ist dabei Mecklenburg-Vorpommern. Im bevölkerungsärmsten der neuen Länder werden bereits acht Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche ökologisch bewirtschaftet, das ist einsame Spitze im gesamten Bundesgebiet. 1991 wurde hier der Anbauverband „Biopark“ gegründet, dessen Mitgliedsbetriebe mit 80.500 Hektar bereits mehr Fläche bewirtschaften als die Mitglieder von Bioland oder Demeter.

„Biopark“ beliefert den Babynahrungshersteller Alete mit Ökokalbfleisch und will gezielt an Ladenketten und andere Großabnehmer herantreten. Mit Engagement und viel ehrenamtlicher Arbeit soll das Kunststück bewältigt werden, Bioware zu einem erträglichen Preis auf den Markt zu bringen, einen breiten Kundenkreis anzusprechen und gleichzeitig die Bauern auf ihre Kosten kommen zu lassen. Ab Januar soll das Qualitätsfleisch in vier Spar-Filialen getestet werden.

Die Geschäftsführerin Heide- Dörte Matthes gibt sich optimistisch: „Wir werden alles verkaufen. Wir können große Partien liefern und sind daher sehr gefragt.“ Wahrscheinlich hat sie recht. Daß der Supermarkt für die Bioschwemme eine reelle Absatzchance bietet, beweist das Beispiel Dänemark. In den „Super-Brugsen“-Geschäften erreichen Ökomilch, -joghurt und -käse einen Marktanteil von bis zu zwanzig Prozent am Gesamtabsatz. Andere Handelsketten fingen ebenfalls an, Bioware ins Regal zu stellen, um die Kundschaft nicht zu verlieren.

Auch in Deutschland gibt es erste Erfahrungen. Bei Tengelmann steht Biologisches unter der Eigenmarke „Naturkind“ in den Regalen. Und der „Naturland“- Bauer Ludger Breloh beliefert seit Januar 1993 unter dem Namen „Breloh-Bauern“ 20 Rewe- Märkte im Kölner Raum mit Biogemüse von 150 Bauern aus dem ganzen Bundesgebiet. „Das läuft so gut, die Marktleiter würden uns für verrückt erklären, wenn wir jetzt aufhören würden“, sagte er der Zeitschrift Ökotest.

Die neue Biogeneration hat einen Sinneswandel vollzogen. Wo früher die Fahne des Idealismus hochgehängt wurde, zählt heute das marktwirtschaftliche Kalkül. „Unsere Flächen im Nationalpark Müritz unterliegen ohnehin einer stark reglementierten Nutzung“, begründet Großbauer Porsche seinen Weg in die Ökowirtschaft, aber: „Ohne Subventionen läuft das nicht.“ Und obwohl der Demeterbauer Jan-Uwe Klee aus Stuckenborstel in Niedersachsen auf seinem 45-Hektar-Hof vor allem „sinnvolle Zusammenhänge für die Umwelt und die sozialen Probleme der Menschen“ schaffen möchte, betrachtet er die Konkurrenz aus dem Osten mit Wohlwollen: „Ich halte es für sinnvoll, daß möglichst viele Flächen ökologisch bewirtschaftet werden. Daher ist jede Form zu begrüßen.“