„Zeitpunkte“ aufs tote Gleis geschoben

■ Berlins einziger frauenpolitischer Sendung droht die schleichende Abschaffung / Abendsendung ab 1. April 1995?

Die gute Nachricht zuerst: Die „Zeitpunkte“, Berlins einzige frauenpolitische Rundfunksendung, werden nun doch nicht abgewikkelt. Dafür haben sicher auch die vielfältigen HörerInnenproteste gesorgt. Jetzt die schlechte Nachricht: Eine schleichende Abschaffung droht weiterhin. Nach dem Willen von SFB-Programmdirektor Jens Wendland und Wellenchef Wilhelm Matejka soll das feministische Magazin des SFB 3 auf den Frühabend verschoben werden, sobald am 1. April 1995 das „Inforadio“ unter gemeinsamer Regie von SFB und ORB startet. Der Abend aber ist ein toter Zeitpunkt für die SFB-Welle. Die Einschaltquote der Hörer ist dann nur noch sehr gering und die der Hörerinnen überhaupt nicht mehr meßbar. „Nach einem Jahr ist die Quote dann völlig runter, und die Sendung wird eingestellt“, befürchtet eine Mitarbeiterin der „Zeitpunkte“.

Programmdirektor Wendland und Wellenchef Matejka, als Gespann nach Meinung der Zeit „das Gefährlichste, was es für die Berliner Radiokultur gibt“, haben zwei verschiedene (Auslauf-)Modelle für die „Zeitpunkte“ im Kopf. Nach Matejkas Modell soll das Magazin dann täglich ab 18.05 Uhr auf 25 Minuten zusammengepreßt laufen, ohne Musik. Der jetzige Sendeplatz von 12.05 bis 13.00 Uhr sei nämlich, weil von „strategischer Bedeutung“, viel zu wertvoll für eine solche Sendung mit „spezifischem Zugriff“, so der Wellenchef zur taz. Anstelle der „Zeitpunkte“ sei eine Talk-Runde vorgesehen. Radio- und FernsehnutzerInnen werden zwar mit Talkshows auf allen Kanälen bombardiert, aber Matejka glaubt allen Ernstes, die Massen damit ans Radio holen zu können. Im übrigen, sagt er, habe er „minus null Verständnis“ für die „Hier-bleibt-alles-wie-es-ist- Mentalität“.

Ein zweites Modell zog Programmdirektor Wendland am vergangenen Freitag bei der Sitzung des Programmausschusses im Rundfunkrat aus dem Ärmel. Danach soll die einstündige Sendezeit der „Zeitpunkte“ erhalten bleiben, aber auf den Sendeplatz von 17.30 bis 18.30 Uhr verschoben werden. In einer Probeabstimmung ging sein Vorschlag tatsächlich mit 5:4 Stimmen durch. Der Programmausschuß wird sich nächste Woche erneut mit dem Thema befassen.

Wegen all dem herrscht seit Tagen Krach im Hause SFB. Die Redakteurinnen der „Zeitpunkte“ sind stinksauer, denn niemand von ihnen hat Lust, für eine Sendung auf dem toten Gleis überhaupt noch weiterzuarbeiten. Deswegen sei es auch eine Frechheit von Programmdirektor Wendland, im Rundfunkrat zu behaupten, sein Modell sei mit ihnen abgesprochen. Sauer ist auch die Arbeitsgruppe, die auf Initiative von Wellenchef Matejka bis Dezember ein neues Programmschema für die Kulturwelle SFB 3 erarbeiten soll. Wozu sich noch abstrampeln, wenn über andere Modelle schon im Programmausschuß abgestimmt werde, ist aus der Gruppe zu hören.

Warum gerade die profilierten und beliebten „Zeitpunkte“ seit Jahren immer wieder abgeschafft werden sollen, bleibt ein Geheimnis der ausschließlich männlich besetzten Chefetage des SFB. 1986 wurde die Sendung vom zweiten ins unpopuläre erste Programm verbannt, 1990 nach einem gescheitertem Abwicklungsversuch ins dritte Programm abgeschoben. Inhaltliche Kritik bekommen die Frauen dabei bezeichnenderweise selten zu hören. Eine von ihnen vermutet denn auch, die Chefs hätten eine Art „sportiven Ehrgeiz“ entwickelt, das Weibernest mit seinem feministischen Geschnattere endlich aufzulösen. Doch auch gegen den jüngsten Abwicklungsversuch haben wieder weit mehr als tausend HörerInnen ihre Stimme erhoben, darunter Prominente wie Ingrid Stahmer, Christine Bergmann und Steffi Spira. Von der taz auf die neueste Entwicklung angesprochen, befand die Schauspielerin Steffi Spira, der öffentliche Einspruch dürfe jetzt nicht nachlassen. „Die Frauen haben Recht mit ihrem Protest.“ Ute Scheub