Wenn man vom Frieden im Radio hört

Der 20jährige Bürgerkrieg in Angola hinterläßt Haß und Rachegelüste / Spannungen zwischen Flüchtlingen und Stadtbewohnern / Unita-Chef Savimbi verliert an Unterstützung  ■ Aus Kuito Willi Germund

„Marcelino, 1974 bis 18. August 1994“, heißt es in ungelenken grünen Pinselstrichen auf dem einfachen kleinen Holzkreuz. Die Ziegelsteine, die das Grab neben dem ehemaligen Spielplatz von Kuito einrahmen, sind von Kugeln durchsiebt. Ein Grab wie Hunderte von anderen auch: Jeder Garten, jeder Platz in Kuito wurde zum Friedhof. Welke Blümchen in leeren Bierflaschen schmücken die flachen Lehmhügel; bleiche Skelettknochen säumen die ausgewaschenen Feldwege am Rande der Stadt im Hochland von Angola – Spuren des Leides nach 18 Monaten Belagerung durch Unita-Rebellen. Vor ein paar Wochen wurden die Freischärler vertrieben, aber Ruhe haben die Bewohner der zerschossenen Stadt immer noch nicht. „Soldaten vergewaltigen Flüchtlinge, bewaffnete Banden stehlen ihnen das Essen“, berichten Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen vom Verhalten der Regierungsanhänger gegenüber Landsleuten, die als Sympathisanten von Unita betrachtet werden.

Ehemalige Hochburg der Unita in Regierungshand

„Es gibt Spannungen, aber keine offene Konfrontation“, ist Kuitos Vizegouverneur Avelino Ndalo immerhin bereit zuzugeben. Eine Seitenwand seines rosaroten Regierungspalasts fehlt völlig, einige Balken sind alles, was nach einem Granateneinschlag vom ehemaligen Dachstuhl übrigblieb. Im Hinterhof stapeln sich erbeutete Bazooka-Raketen. Auf ganze drei Quadratkilometer schrumpfte zwischenzeitlich das Gebiet, das die Regierungssoldaten noch halten konnten. 30.000 Menschen drängten sich in den paar belagerten und beschossenen Straßenblocks. Einwohner Kuitos berichten, daß in den schlimmsten Zeiten, in denen kein Nachschub per Fallschirm abgeworfen wurde, sogar die Toten verspeist worden seien, um zu überleben.

Marcelino, dem Alter nach zu urteilen ein Soldat, wurde gleich neben den Ruinen des Kuito- Hauptquartiers der in der Hauptstadt Luanda regierenden ehemaligen Befreiungsfront MPLA beerdigt. Schützengräben durchziehen in unregelmäßigem Zickzack das Gelände. Regenwasser überschwemmt langsam die Unterstände mit kleinen, von Einschußlöchern gesäumten Gucklöchern. Inzwischen liegt der Verteidigungsring in 30 bis 50 Kilometer Entfernung.

Kuito galt früher als „Unita- Stadt“. Während die Rebellen 1992 landesweit bei den bisher ersten und einzigen Wahlen Angolas verloren haben und deshalb den Krieg neu entfachten, gewannen sie in Kuito, der Hauptstadt der Provinz Bie, die Mehrheit der Stimmen. Aber jetzt soll das alles nicht mehr wahr sein. „Das Volk hatte die Nase voll, deshalb haben sie alle mitgekämpft, um Unita zu vertreiben“, liefert der Vizegouverneur die mehr als unwahrscheinliche Begründung für den militärischen Erfolg der Regierungstruppen.

Im April 1993 noch hatte Unita- General „Ben Ben“ Pena im Schatten einer weithin sichtbaren Baumgruppe drei Kilometer außerhalb der Stadt gegenüber der taz erklärt: „Wenn wir wollen, können wir Kuito jederzeit einnehmen.“ Unita hielt Panzer und schwere Artilleriegeschütze in Stellung, um den militärischen Druck zu verstärken. Inzwischen befinden sich die Rebellen landesweit in der Defensive und haben längst wieder auf ihre Guerilla- Taktik zurückgegriffen, statt mit konventionellen Waffen anzugreifen. Selbst das nur 120 Kilometer von Kuito entfernte Huambo, das im Ferbuar 1993 nach sechswöchigen blutigen Kämpfen von der Unita erobert wurde, räumten die Freischärler mittlerweile.

In dem Dorf Kunje, sieben Kilometer von Kuito entfernt, leben in einer Zeltstadt neben einem zerschossenen Panzer 25.000 bis 30.000 Menschen: Vertriebene, die aus ehemaligen Unita-Gebieten stammen. „Die Batidas haben uns befohlen, hierherzukommen“, erzählt der 38jährige Miguel Feliciano Gabriel, ein Vater von sieben Kindern. Die Stoßtrupps der Regierung gingen zur Zeit der Belagerung auf Beutejagd nach Nahrungsmitteln. Jetzt werden sie bei der landesweiten Regierungsoffensive als Vorhut eingesetzt.

„Unita behandelt das Volk schlecht, Unita denkt nur an sich und tut nichts für das Volk“, kommt wie aus der Pistole geschossen die stereotype Antwort. Feliciano Gabriels schwielige Hände streichen nervös über seine kurzen dunkelbraunen Hosen, während im Hintergrund ein Polizist lauscht. Angst steht dem Mann mit dem fehlenden Ohrläppchen zwar nicht gerade ins Gesicht geschrieben. Aber er bemüht sich eifrig, die „passenden“ Antworten zu liefern.

Gabriel gehört zum Volk der Ovimbundus, dem auch Rebellenführer Jonas Savimbi angehört und das zwischen 35 und 40 Prozent von Angolas zehn Millionen Einwohnern stellt. Bisher konnte sich der Chef der Freischärler auf den bedingungslosen Gehorsam der Ovimbundus verlassen. Seit Savimbi nach seiner Wahlniederlage vor zwei Jahren Angolas Bürgerkrieg neu entfachte, spielte er immer wieder die ethnische Karte. Die MPLA-Regierung unter Präsident Eduardo dos Santos plane einen Völkermord an den Ovimbundus, heißt es regelmäßig im Unita-Propagandasender „Vorgan“.

Aber seit einigen Wochen mehren sich die Gerüchte, daß Ovimbundu-Häuptlinge drohten, Savimbi die Gefolgschaft zu kündigen, wenn er den Krieg, dem seit Angolas Unabhängigkeit zwischen 500.000 und einer Million Menschenleben zum Opfer fielen, nicht bald beende. Feliciano Gabriel scheint von solchen Meinungsverschiedenheiten nichts zu wissen. Die Antwort auf eine entsprechende Frage gehört offensichtlich auch nicht zum gängigen Repertoire der Propaganda, die den Vertriebenen im Lager vorgebetet wird. Hilflos schaut sich Feliciano Gabriel bei seinen Nachbarn um, als er antworten soll, was er von der Behauptung halte, nur Unita habe die Interessen der Ovimbundus im Sinn. „Lüge, alles Lüge“, ruft schließlich jemand, und Feliciano Gabriel nickt eifrig und erleichtert.

Zwei seiner Söhne wurden in die Regierungsarmee gepreßt. „Wer hier von der männlichen Bevölkerung laufen kann, ist Soldat“, sagt die schottische Krankenschwester Isabelle Simpson von der irischen Hilfsorganisation „Concern“, „alle anderen sind Invaliden.“ Gabriel weiß nicht, wo seine beiden Kinder stecken: „Ich glaube, sie wurden nach Luanda gebracht.“ Nach zwei Wochen Ausbildung folgt oft schon der erste Einsatz der frischgebackenen Soldaten. Aber die Bewohner von Kuito, die 18 Monate lang unter der Belagerung durch Unita gelitten haben, hält dies nicht davon ab, den Mann und andere Flüchtlinge weiter als Unita-Anhänger zu betrachten.

„Wir haben gelitten, und die haben bei Unita gelebt“, regt sich Agostinho Pinto auf. In der Garage steht sein alter Toyota – von Kugeln durchsiebt und unbrauchbar. Die Fenster des Hauses hat der 43jährige Mann mit Steinen zugemauert. Man weiß ja nie, wann die Kämpfe wieder anfangen. Pinto wohnt in der Zementstadt, Kuitos Zentrum, in dem die Mittelklasse lebt, die meist die regierende MPLA-Regierung gewählt hat. Unita dagegen genießt vor allem Rückhalt unter der Landbevölkerung.

Bildung als Gradmesser für politische Sympathien

Das „World Food Programme“ (WFP) fliegt monatlich etwa 1.000 Tonnen Nahrungsmittel in die Stadt. Genug, um die Vertriebenen zu ernähren. Aber Angolas Regierung kommt einer Vereinbarung, die Bewohner von Kuito selbst zu versorgen, nicht nach. Der Krach war unvermeidlich, und Flüchtlinge wie Feliciano Gabriel müssen die Folgen ausbaden. „Einmal pro Woche verteilen wir Lebensmittel an Kuitos Bewohner, einfach, um Unruhen zu vermeiden“, erklärt ein WFP-Mitarbeiter.

„Wir mußten uns dumm stellen“, erzählt eine Krankenschwester in der Stadt Ndalatando, 230 Kilometer östlich von Angolas Hauptstadt Luanda gelegen, von der Zeit der Besetzung durch Unita-Truppen. „Wer lesen und schreiben konnte, wurde verdächtigt, die MPLA zu unterstützen.“ Einst diente Angolas Bürgerkrieg als Stellvertreterkrieg der Ideologien. Unita, von den USA und dem Apartheidregime in Südafrika unterstützt, diente den „westlichen Interessen“. Die MPLA dagegen sicherte sich die Unterstützung durch die Sowjetunion und Kuba, indem sie dem Sozialismus huldigte.

Der Kalte Krieg ist vorüber, Ideologien bedeuten nichts mehr. Jetzt dient die Bildung als Gradmesser politischer Sympathien – und die ethnische Zugehörigkeit. Aus Mbanza Congo an der Grenze zum nördlichen Nachbarland Zaire sickern Informationen nach Luanda, daß Regierungsstreitkräfte Zvilisten niedermetzeln, die als Unita-Sympathisanten eingestuft werden. In Ndalatando – bei den Wahlen stimmten fast 100 Prozent für die MPLA – wütete Unita so schlimm, daß die Regierung nach der Wiedereroberung der Stadt Mühe hatte, einen Vizegouverneur zu finden. Kandidaten verweigerten sich aus Angst vor Unita. Hilfsorganisationen fürchten, daß es jetzt auch in Huambo zu Vergeltungsaktionen kommen könnte.

„Die Mehrheit der 10 Millionen Angolaner weiß nicht, was Frieden ist“, erklärte vergangenes Wochenende US-Botschafter Edmund Dejarnet in Luanda. Fast 20 Jahre Bürgerkrieg haben das Land völlig verwüstet. „Frieden?“ fragt Feliciano Gabriel in Kunje vor dem von den Vereinten Nationen gestifteten Zelt, in dem er mit 35 Verwandten aus dem 40 Kilometer entfernten Heimatdorf haust. „Ja, wir haben vom Frieden im Radio gehört.“ Aus der Ferne dröhnt dumpfer Artilleriedonner über den flachen afrikanischen Busch.