Ruinen-Chic

■ Liebe mit Nylons: "Das Frolleinwunder", (23 Uhr, ARD)

1945. Ratlos stehen die Trümmerfrauen zwischen ausgebombten Ruinen. Da steigen die strahlenden amerikanischen Sieger mit ausrasierten Nacken aus den Bombern, um sich die Reste von „The Nazi Reich“ aus der Nähe anzuschauen. Sie staunten nicht schlecht. Denn die US-Propaganda hatte sie nicht darauf vorbereitet, daß „The Nazis“ auch „Frolleins“ hatten. Zum Glück verfügten die GIs reichlich über Nylonstrümpfe, Kaugummi, Coca-Cola und Zigaretten. Die „Bombardierung“ setzte sich auf etwas friedlichere Weise fort.

Heute nennt man das „Liebe aus Ruinen“. Mit ihrer dokumentarischen Collage „Das Frolleinwunder“ versucht Esther Schapira diese Zeit zu beleuchten und macht so ziemlich alles falsch, was man bei diesem Thema falsch machen kann. Bis hin zum historisch unkorrekt datierten Titel: „Das Frolleinwunder“ ist der sexistische Ausleger des Wirtschaftswunders. Das aber kam erst später.

Drei Trümmerfrauen, Rita Roth, Frieda Reinicke und Eleonore Holub, berichten vor der Kamera von ihrer Soldatenliebe. Ihre Geschichten haben Ecken und Kanten. Zum Beispiel Eleonore. Ihr GI Tom ließ sich von seiner amerikanischen Frau scheiden, als er hörte, daß sein „Frollein“ in Deutschland schwanger war. Die Reiseformalitäten waren schon erledigt, als der Kontakt für immer abriß. Jahrzehnte später erfuhr Eleonore am Grab ihrer Mutter, daß die Toms Briefe abgefangen hatte und ihm schreiben ließ, die Tochter habe einen anderen gefunden.

Statt bei derartigen Geschichten etwas zwischen den Zeilen über Vorurteile, Völkerhaß und Mentalitäten herauszulesen, unternimmt Frau Schapira genau das Gegenteil: Sie rekonstruiert den Mythos. Und selbst das wirkt vollkommen uninspiriert. Die Frauen sitzen an historischer Stätte in einer früheren Soldatenbar, wo die Clark-Brothers, zwei schwarze Entertainer aus der „wilden Zeit“, ihre Lieder singen. Sodann läßt die Regisseurin jenen magischen Moment, da die drei „Frolleins“ ihren GI kennenlernten, von (Laien?-) Schauspielern nachstellen. Obwohl – oder gerade weil – das auch an historischer Stätte in Frankfurt stattfindet, wirken diese kurzen Szenen so künstlich und leer wie eine Vorstellung von „Holliday on Ice“. Der Kameramann spielt mit dem Licht herum, als habe er in seinem Leben nur Spielberg-Filme gesehen.

Jeden Sonntag, wenn meine Mutter den Braten aufgetischt hat und sich nach dem zweiten Glas Wein an ihre Jugend erinnert, erfahre ich weit mehr über „Frolleins“, Ruinen, Soldaten und Nylons als in „Das Frolleinwunder“. Manfred Riepe