„Programmatisch nicht weit auseinander“

■ Hans-Jochen Tschiche, grüner Fraktionschef in Sachsen-Anhalt, zum Verhältnis zur PDS

Das Interview mit Tschiche wurde vor der Bundesversammlung von Bündnis 90/Die Grünen am Wochenende geführt.

taz: Herr Tschiche, mit äußerst knapper Mehrheit wurde auf dem letzten Landesparteitag ihrer Partei die Zusammenarbeit mit der PDS abgelehnt. Starke Kräfte in ihrer Partei wollen also die PDS ausgrenzen.

Hans-Jochen Tschiche: Ja. Aber mein Eindruck ist, daß sich die Stimmung in Ostdeutschland verändert. Es gibt Leute, die sich noch so verhalten, als wäre es kurz nach der Wende, aber aus CDU und SPD höre ich inzwischen andere Stimmen in Richtung PDS. Da müssen wir noch etwas historischen Nachhilfeunterricht nehmen.

Wo liegen denn überhaupt die programmatischen Unterschiede zwischen der PDS und Ihrer Partei?

Programmatisch sind wir nicht weit auseinander. Der Hauptunterschied ist mentaler Art. Die Mentalität bei vielen Leuten, die in der PDS sind, besteht darin, daß sie bei Problemen gleich nach Vater Staat rufen. Das DDR-System war ja ein patriarchalisches System, eine Oligarchie mit totalitärem Anstrich.

Aber viele der traditionellen bündnisgrünen Themen werden auch von der PDS besetzt, andererseits scheuen sich die Bündnisgrünen vor neuen Themen, etwa in der Wirtschaftspolitik.

Die PDS hat, was unsere Partei weitgehend versäumt hat, das ostdeutsche Thema ganz weit nach vorne gebracht. Das Bewußtsein, daß Gesamtdeutschland und damit auch Westdeutschland anders geworden ist, das ist im wesentlichen durch die PDS-Diskussion gekommen. Wir haben insbesondere im Bereich emanzipatorischer Bewegungen Kompetenz, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Selbstbestimmung des Menschen und das Verhältnis des Menschen zur Natur voranzubringen.

Die Umweltverbände in Sachsen-Anhalt arbeiten lieber mit der PDS zusammen.

Daß starke ökologische Kräfte auch bei der PDS sind, liegt an einer gewissen ökologischen Tradition der DDR, die durch den Kulturbund verkörpert wurde. Aber ich weiß, daß der ökologisch-feministische Flügel in der PDS ja nicht unumstritten ist. Meine Hoffnung ist, daß sich irgendwann ein Reformbündnis bildet, für das Bündnis 90/Die Grünen der Kern einer neuen Reformpartei sein könnte.

Sie selbst sagen, auf Dauer sei links der SPD nur noch für eine Partei Platz. Die Bündnisgrünen: Partei auf Abruf?

Man wäre blind, wenn man die Krise unserer Partei nicht wahrnehmen würde. In der PDS gibt es ja ganz unterschiedliche Strömungen. Von DDR-Nostalgikern über Leute, die eigentlich eine Heimatpartei suchen, bis hin zu diesen Reformern. Der derzeitige politische Druck erzeugt eine starke Solidarisierung dieser Gruppen. Wenn die PDS nicht mehr in die Schmuddelecke gesperrt wird, könnte es sein, daß innere Konflikte einen solchen Druck erzeugen, daß die PDS gesprengt wird. Dann wäre der Weg zur linken Reformpartei frei. Und für die müßte Bündnis 90/Die Grünen die Keimzelle sein.

Ist das nicht reiner Größenwahn? Selbst der PDS-Reformflüge hat ein vielfaches der 470 Mitglieder bei den Bündnisgrünen.

Keimzellen sind eben klein. Es geht aber um Glaubwürdigkeit. Ich will nicht ständig mit dem 89er-Bonus rumrennen, aber er würde es leichter machen, ein solches Reformbündnis auch in Gesamtdeutschland glaubwürdiger zu machen. Es wird ein längerer Zeitraum sein, es darf aber auch nicht zu lange dauern, sonst tritt ein Gewöhnungseffekt ein. Und dann kann man hier im Osten Dinge zwischen der SPD und der PDS erleben, von denen bislang keiner geträumt hat. Interview: E. Löblich