„Wir hätten die Archive öffnen sollen“

■ Jiři Ruml über die tschechische Vergangenheitsbewältigung

Jiři Ruml war Mitglied der KPČ bis zu seinem Ausschluß 1969, 1987 gründete er die Samizdat-Zeitung Lidové Noviny, deren Mitherausgeber er heute ist.

taz: Herr Ruml, seit drei Jahren prüft das Innenministerium, ob die Namen von Personen, die sich um eine höhere Funktion in der staatlichen Verwaltung, bei der Armee und in Staatsbetrieben bewerben, nicht in den Registern des Staatssicherheitsdienstes auftauchen. Hat das Durchleuchtungsgesetz seine „Säuberungsfunktion“ erfüllt?

Jiři Ruml: Nur teilweise. Denn die Betriebe, in denen der Staat keine Aktienmehrheit hat, fallen nicht unter das Gesetz. Aber auch die Unternehmen, die zu über 50 Prozent dem Staat gehören, versuchen, es zu umgehen. Da keine Sanktionen vorgesehen sind, ist dies möglich. In den Ministerien war die Überprüfung gründlicher. Inzwischen hat sich jedoch eingebürgert, daß man die Mitarbeiter, die in den Stasi-Registern auftauchen, nicht entläßt, sondern auf untergeordnete Positionen versetzt.

Gibt es nicht doch Firmen, die Bewerber mit einem „positiven Durchleuchtungsnachweis“ ablehnen, auch wenn die Arbeitsstelle nicht unter das Gesetz fällt?

Nein, den meisten Betrieben ist es völlig egal, ob jemand bei der Stasi war, ihnen geht es darum, gute Fachleute zu bekommen.

Viele „positiv Durchleuchtete“, die bestreiten, für die Stasi tätig gewesen zu sein, haben einen Prozeß gegen das Innenministerium gewonnen. Die Zweifel an den Nachweisen wachsen.

Das Ministerium verliert so viele Prozesse, da das Gesetz bestimmte Beweismittel – wie Verzeichnisse der Stasi-Register auf Mikrofiche – nicht zuläßt. Ab und zu werden als Zeugen daher Ex- Mitarbeiter der Stasi vorgeladen. Doch diese lehnen es oft ab, vor Gericht zu erscheinen. Wenn sie es doch tun, können sie sich zu 90 Prozent nicht erinnern. Daher ist für die „positiv Durchleuchteten“ nicht schwer, den Prozeß zu gewinnen. Und was die Bedeutung anbelangt: Die Gültigkeit des Gesetzes endet in zwei Jahren. Dann wird sowieso ein Schlußstrich gezogen.

Und Sie sind der Ansicht, daß dies gut ist?

Nein, natürlich nicht. Wenn ich noch Abgeordneter wäre, würde ich eine Verlängerung beantragen.

Von 250.000 überprüften Tschechen erhielten über 14.000 eine positive Bescheinigung. Von hohen KP-Funktionären wurden dagegen nicht einmal fünf verurteilt. Ist das nicht eine sehr einseitige Vergangenheitsbewältigung?

Es gibt zwei wichtige Gesetze. Das eine über die „Nichtverjährung einiger Straftaten“ und ein zweites, das das kommunistische System als Ganzes als „verbrecherisch und illegal“ bezeichnet. Wenn diese richtig angewandt würden, könnten die hohen Funktionäre angeklagt werden.

Doch bisher gibt es nur wenige Anzeigen, und diese bleiben bei den überlasteten Justizbehören liegen. Was die Durchleuchtung betrifft: Ich bin der Ansicht, daß jeder ehemalige Stasi-Mitarbeiter so viel Anstand haben sollte, sich nicht um höhere Funktionen beim Staat zu bewerben. Dann hätten wir auf das Gesetz verzichten können.

Halten Sie den „tschechischen Weg“ der Bewältigung der Stasi- Vergangenheit für besser als den deutschen?

Der deutsche Weg war besser, wir hätten die Stasi-Archive auch öffnen sollen. Wir haben es nicht getan, weil es uns im Unterschied zu Deutschland an Geld und an den notwendigen Fachkräften fehlte. Interview: Sabine Herre