■ Brendan Smyth – Ein irischer Pfaffe mißbrauchte Kinder
: Ganz bestimmt kein Einzelfall

Dublin (taz) – Er weine selten, sagte Kardinal Cahal Daly, der Primat von Irland. Als ihm aber mehrere Eltern berichteten, daß ihre Kinder von dem katholischen Pfarrer Brendan Smyth vergewaltigt worden waren, seien ihm die Tränen gekommen. Es waren Krokodilstränen: Daly wußte seit Jahren von den Taten des Pfaffen, kehrte sie jedoch unter den Teppich und lieferte dadurch Dutzende anderer Kinder an den Vergewaltiger aus.

Smyth gehört den Norbertinern an, einem Orden, der im Jahr 1120 von Norbert von Xanten in Frankreich gegründet wurde. Smyth hat seit mehr als 40 Jahren in allen Teilen Irlands sein Unwesen getrieben, die Zahl seiner Opfer geht in die Hunderte. Erst jetzt wurde ihm das Handwerk gelegt: Ein nordirisches Gericht klagte ihn in acht exemplarischen Fällen an und verurteilte ihn zu vier Jahren Haft.

Claire war sechs, als der Norbertiner-Priester sie zum ersten Mal vergewaltigte. In den folgenden acht Jahren verging sich Smyth immer wieder an dem Mädchen. Claire, die inzwischen 22 ist, hat eine gescheiterte Ehe und mehrere Selbstmordversuche hinter sich. Sie hat Klage gegen die katholische Kirche eingereicht, nachdem sie herausgefunden hatte, daß Smyth bereits 1971 an ihrer Schule ein Mädchen vergewaltigt hatte. Die leitende Nonne sagte damals, Smyth werde dafür „von einem höheren Richter“ bestraft und dürfe die Schule nicht mehr betreten. Zehn Jahre später war er wieder zurück und vergewaltigte Claire sowie mindestens elf andere Kinder aus ihrem Freundeskreis.

1992 wandte sich Claire an Cahal Daly. Der schrieb ihr jedoch, daß ihm die Hände gebunden seien, weil „ein Pfarrer nicht dem Bischof, sondern seinem Abt untersteht, und nur der Abt kann dieses Problem angehen“. Der Norbertiner-Abt Kevin Smith kümmerte sich um den „gefallenen Priester“ auf seine Art: Obwohl er wußte, daß Smyth' „Problem mit Kindern schon früh in seinem religiösen Leben aufgetaucht“ war, versetzte er den Pfaffen lediglich in eine andere Gemeinde, wenn sich das „Problem“ nicht mehr verheimlichen ließ – zuletzt schickte er Smyth an ein Kinderkrankenhaus in Cork.

Der Abt wurde in der vergangenen Woche als Oberhirte der irischen Norbertiner abgelöst. Der Ordenschef Marcel van de Veen aus den Niederlanden hatte sich mit Daly über eine Schadensbegrenzung für die Kirche beraten, dieses Treffen jedoch zunächst bestritten. „Ich hoffe, sie legen das nicht als Lüge aus“, bat van de Veen. Als was denn sonst?

Eine unrühmliche Rolle in dieser Angelegenheit spielte auch der irische Generalstaatsanwalt Harry Whelehan, ein katholischer Fundamentalist und selbsternannter Lebensschützer. Als die nordirische Polizei einen Auslieferungsantrag für Smyth stellte, dauerte es sieben Monate, bis Whelehan reagierte – sieben Monate, in denen Smyth weiterhin Kinder im Krankenhaus sexuell belästigen konnte. Whelehans Begründung: Er habe sicherstellen wollen, daß Smyth in Belfast einen fairen Prozeß erhalte. Vor zwei Jahren hatte Whelehan schneller reagiert: Als er hörte, daß eine 14jährige, die bei einer Vergewaltigung geschwängert worden war, zur Abtreibung nach England wollte, verhängte er umgehend ein Ausreiseverbot.

Brendan Smyth ist beileibe kein Einzelfall, sondern charakteristisch für den Umgang der katholischen Hierarchie mit pädophilen Geistlichen: 1993 wurde ein Ordenslehrer angeklagt, weil er zwei Jungen sexuell belästigt hatte. Die Taten lagen mehr als zehn Jahre zurück, die kirchliche Schulleitung wußte seit 1986 davon. Dennoch unternahm sie nichts: Der Lehrer durfte nicht nur weiterarbeiten, sondern man übertrug ihm darüber hinaus die Leitung eines Jugendclubs mit 200 Mitgliedern. Erst als die Opfer im vergangenen Jahr zur Polizei gingen, kam es zur Anklage. – Ein Pfarrer aus Westirland hatte seinem Bischof gestanden, daß er „sexuelle Beziehungen zu einem kleinen Jungen“ unterhalte. Dennoch blieb er weitere zehn Monate im Amt und wurde dann an eine Schule in der Nachbargemeinde versetzt. Seine kirchliche Karriere endete erst, als er wegen Vergewaltigung zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. – Ein Mönch, der an einer katholischen Grundschule unterrichtete, hatte 1987 einen elfjährigen Schüler vergewaltigt. Die Schulleitung verschwieg die Sache. Als Gerüchte über den Fall laut wurden, versetzte man den Mönch flugs in eine Nachbargemeinde und schließlich in ein Kloster im Ausland, wo er noch heute lebt. – Im vergangenen Jahr wurde ein Pfarrer in dieselbe Gemeinde versetzt, wo er 1985 eine Zehnjährige sexuell belästigt hatte. Damals beschwichtigten die Kirchenbehörden die Eltern und versprachen, den Pfaffen in ein Kloster zu schicken. Als er letztes Jahr dennoch wiederauftauchte, ging die inzwischen 19jährige zur Polizei. Die Staatsanwaltschaft lehnte eine Klageerhebung jedoch ab.

Die Liste ließe sich fortsetzen, selbst Pfarrer Damien Byrne von der irischen Religionskonferenz sagt, die bekannten Fälle von Kindesmißbrauch seien lediglich die Spitze eines Eisbergs. Byrne glaubt, daß viele Täter als Kinder selbst vergewaltigt worden seien und später die Kirchenlaufbahn einschlugen, um mit dem Trauma fertig zu werden. „Vielleicht haben einige Pfarrer ihr Leben der Religion gewidmet, um ihrer Sexualität auszuweichen“, meint Byrne.

Für Kinderschänder ist ein Job als Pfarrer freilich ideal: Geistliche sind in den meisten irischen Häusern gerngesehene Gäste. Sie haben freien Zutritt zu Schulen und Krankenhäusern, hat sich die katholische Kirche doch nach der irischen Unabhängigkeit 1922 das Schul- und Gesundheitswesen unter den Nagel gerissen, um die irische Gesellschaft fest in ihrem Würgegriff zu halten. „Warum folgen so viele scheinbar intelligente und vernünftige Menschen der katholischen Kirche?“ fragt Niall Stokes vom Dubliner Kultusministerium, „wenn diese Institution aus allen Poren nach Heuchelei stinkt, sobald es um das Thema Kindesmißbrauch geht?“

Vielleicht bewirkt der Fall Smyth ja wenigstens, daß den Menschen auf der noch immer erzkatholischen Grünen Insel ein Licht aufgeht und sie die katholische Kirche als das erkennen, was sie ist: eine durch und durch verkommene Institution, die über Leichen geht, wenn ihre eigenen Interessen und ihr Einfluß bedroht sind. Ralf Sotscheck