Auf Deutschland kann man nicht mehr warten

■ Die Tschechische Republik entscheidet, ihre NS-Opfer selbst zu entschädigen

Prag/Berlin (taz) – Die erwartete Neuauflage der Debatte über das deutsch-tschechische Verhältnis blieb aus: Eine überraschend deutliche Mehrheit von 165 der 200 Abgeordneten des Prager Parlaments stimmte am Mittwoch abend für ein Gesetz über die Entschädigung der tschechischen Opfer des Nationalsozialismus durch die Tschechische Republik. 16.800 TschechInnen, die während der Zeit der deutschen Besatzung in Konzentrationslagern oder Gefängnissen inhaftiert waren, erhalten demnach eine „symbolische Wiedergutmachung“ von 2.300 Kronen (135 Mark) je Haftmonat. Angehörige verstorbener Häflinge haben Anspruch auf eine einmalige Zahlung von 100.000 Kronen, das entspricht rund 6.000 Mark. Finanziert werden sollen die hierfür notwendigen Aufwendungen aus dem Vermögen der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei und einem Sonderkonto des Ministeriums für Privatisierung.

Den Abgeordneten aller Parteien war klar, daß auf eine Entschädigung der NS-Opfer durch Deutschland angesichts des hohen Alters der Betroffenen nicht länger gewartet werden kann. In der Diskussion ging es so vor allem um eine Erhöhung der Entschädigungssumme auf 3.000 Kronen und die Frage, ob nicht auch die Angehörigen des tschechischen Widerstands sowie die Soldaten der tschechischen Exilarmeen berücksichtigt werden sollten. Entsprechende Anträge der Sozialdemokraten und der Ex-Kommunisten wurden jedoch abgelehnt.

Parteienvertreter machten nach der Debatte deutlich, daß eine Entschädigung der NS-Opfer durch die Bundesrepublik immer noch aussteht. Das „beschämende Ereignis“ solle für Bonn ein „Anreiz“ sein, das Problem nun endlich anzugehen. Die tschechischen NS- Opfer sind die einzigen, die bisher noch keine Entschädigungsleistungen aus der Bundesrepublik erhalten haben. 1969 hatte Bonn lediglich für ehemalige KZ-Häftlinge, die wegen den an ihnen vorgenommenen medizinischen Experimenten dauerhafte gesundheitliche Schäden erlitten hatten, 7,5 Millionen Mark ausgezahlt. Verhandlungen zwischen beiden Staaten waren stets daran gescheitert, daß die Bonner Regierung im Gegenzug eine Entschädigung für die Vermögensverluste der nach Kriegsende aus der Tschechoslowakei ausgewiesenen Deutschen gefordert hatte. Im 1992 unterzeichneten deutsch-tschechoslowakischen Vertrag über freundschaftliche Zusammenarbeit hatte man das Thema bewußt ausgeklammert. Sabine Herre

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