Kaiserin Sissy, Querele, Orlando

Gestern begann das zweite „Internationale schwul-lesbische Filmfestival“ mit vielen Berliner Premieren – Die Szene ist skeptisch und erwartet mehr Professionalität, aber weniger Vielfalt  ■ Von Micha Schulze

Lesbische und schwule Filmfans kommen in Berlin derzeit gar nicht mehr aus dem Kino heraus. Kaum hatten die Männer „Erdbeer und Schokolade“ sowie „Der bewegte Mann“ gesehen, flimmerte „The Last Soldier“ über die Leinwand. Kaum hatten die Frauen das „Berliner Lesben Filmfestival 1994“ hinter sich gebracht, drängte es sie in Gus van Sants „Even Cowgirls Get The Blues“. Männern und Frauen zusammen steht nun zum zweiten Mal das „Internationale schwul-lesbische Filmfestival“ bevor: Bis 6. November zeigen die Kinos Eiszeit, Olympia und Cinema Paris rund 80 einschlägige Programme, fast ausnahmslos Berliner Premieren.

Warum gibt's das überhaupt noch?

In Teilen der Berliner Szene erntet das ehrgeizige Projekt des „Lesbischen und Schwulen Büros Film“ nur Kopfschütteln. Schon im vergangenen Jahr hatte man die Notwendigkeit eines eigenen Festivals in Frage gestellt – schließlich verfügt die Stadt mit dem Panorama- Programm der Berlinale seit Jahren über ein heimliches Homo- Filmfest. „Nach dem Erfolg unseres Festivals im letzten November standen wir quasi unter Zugzwang. Es mußte einfach eine Fortsetzung geben“, ergänzt Festivalmitarbeiterin Barbara Wieler die Gründe für das Revival.

Eröffnet wurde gestern mit dem australischen Kassenschlager „Adventures of Priscilla – Queen of the Desert“, ein so abenteuerliches wie komisches Tunten-Roadmovie durch die australische Wüste: Drei problemgeplagte Showgirls aus Sydney werden für vier Wochen inmitten der Ödnis engagiert. Unterwegs im fliederfarbenen Tourbus „Priscilla“ verdrehen die Herren Damen nicht nur manchem Farmer die Augen, sondern machen sich – wie es sich für richtige Tunten gehört – auch gegenseitig das Leben schwer. Die in den Staaten bejubelte „Warner“-Produktion läuft offiziell erst in zwei Wochen an. „Es ist ein großer Erfolg, daß ein so großer Weltkonzern auf einem kleinen Homofestival vertreten ist“, meint Festivalmitarbeiter Michael Höfner stolz.

Ganz wohl ist dem Homofilmbüro bei diesem Film, dessen Erfolg vor allem darin liegt, daß sich Heteros auf Kosten femininer Männer amüsieren, allerdings nicht. So wurde der Eröffnungsabend zum „Tuntenspektakel“ umgemünzt: mit Tuntenprominenz aus ganz Deutschland, die im Fummel vor den Kameras posierten. „Wir wollen politisch Flagge zeigen in einer Zeit, wo Überfälle auf lesbische und schwule Kneipen auf der Tagesordnung stehen“, erklärt Höfner. Insgesamt sei das Filmfestival ein „Zeichen gegen das Unsichtbarwerden und damit assoziierte Nichtvorhandensein“ von Lesben und Schwulen.

Nach „Kulte und Rituale“ im vergangenen Jahr steht das Festival diesmal unter dem schwammigen Motto „Zeichen – Spuren – Blicke“, unter dem sich wirklich jeder beliebige Film einreihen läßt. Trotz der gestiegenen Professionalität, die sich auch in der Beteiligung des großen Ku'damm-Kinos Cinema Paris zeigt, liegt in der kunterbunten Mischung des Festivals seine Schwäche. Aufgrund der mangelnden finanziellen Ressourcen mußten die OrganisatorInnen fast alles nehmen, was sie auftreiben konnten. So wird auch der internationale Anspruch nicht erfüllt: Osteuropäische und asiatische Streifen muß man auch in den Kurzfilmprogrammen mit der Lupe suchen, es dominieren Produktionen aus den USA.

Ob es im lesbischen oder schwulen Film neue Entwicklungen geben hat, läßt sich an den Produktionen von 1993 und 1994 nicht ablesen. Die meisten variieren nur alte Themen. Mit Köpfchen, aber leider in der Form eines alten DEFA-Streifens über Werktätige eines VEB kommt Hima B.s Dokfilm „Straight For The Money“ (USA, 1994) über lesbische Sexarbeiterinnen daher. Nervtötend auch der langatmige und ichbezogene Film „Fast Trip, Long Drop“, in dem der Filmemacher Greg Bordowitz sein Leben als HIV-Positiver zu verarbeiten sucht: Zwölf Jahre nach Entdeckung des HI-Virus zieht er zwischen Aids und Auschwitz Parallelen.

Phantasievoll verziert ist dagegen „Dallas Doll“ (Australien 1994) von Anne Turner über eine umtriebige Golfspielerin, deren Hobby es ist, Signale von Außerirdischen zu empfangen. Nebenbei mischt sie eine ganze Familie auf, indem sie erst den attraktiven Sprößling und dann die nicht weniger hübsche Mutter verführt. Zum krönenden Abschluß wird die UFO-Närrin schließlich von Außerirdischen entführt. Eine absurde wie komische Parodie auf den australischen Mittelstand.

Dagegen tauchen deutschen Produktionen etwa von Manuela Kay oder Michael Brynntrup nur in den Kurzfilmprogrammen auf. Auf der Höhe der Szenediskussion ist hier insbesondere die Zusammenstellung „Genderfucker“ zu Transsexualität und Androgynität sowie das Programm „Richtige Männer“, zu dem – wie in den Siebzigern – eine anschließende Diskussion angesetzt wurde. Den Underground des Underground zeigt schließlich ein „Home-Movie“-Programm mit Arbeiten des gewöhnlichen Homosexuellen von nebenan, bei dem der Eintritt auf 1,90 Mark gesenkt wurde.

Auch ein potentieller Kultfilm ist dabei

Zum Abschluß des Festivals hat das Filmbüro wieder einen großen Kinostreifen ergattern können: „Desperate Remedies“ (Neuseeland 1993) von Stewart Main und Peter Wells. Ein aufwendiger Ausstattungsfilm, der sich nur um eine Frage dreht: Kriegt die Chefin ihre Magd, oder gibt sie den Hetero- Konventionen nach? Angesiedelt ist die hochmelodramatische Kitsch-Romanze in einer verwunschenen Hafenstadt am Ende des vorigen Jahrhunderts. Mit komplizierten Dreiecksgeschichten, einer erstklassigen Besetzung und knallbunten Farben eine Mischung aus Kaiserin Sissy, Querele, Orlando – und damit mit der besten Chance zum Kultfilm.

Bis zuletzt hat den VeranstalterInnen die Finanzierung des Festivals Kopfschmerzen bereitet. Vom Filmboard Berlin-Brandenburg lag nur eine mündliche Zusage auf Unterstützung vor, und eine Benefiz-Party am Tag der deutschen Einheit schrammte mangels Besuchern haarscharf an einer Katastrophe vorbei. Zwar konnte das Filmbüro die Schulden des letzten Jahres durch monatliche Veranstaltungen abstottern, doch muß man abwarten, ob die Berliner Szene der Homofilme nicht überdrüssig ist und den um drei Mark erhöhten Eintrittspreis akzeptiert.

Doch selbst im Falle einer Pleite hält Michael Höfner ein lesbisch- schwules Filmfestival an der Spree für unverzichtbar: „Osnabrück hat es, Münster hat es, und ausgerechnet Berlin soll es nicht haben?“

Schwul-lesbisches Filmfest noch bis 6.11. im Olympia und Eiszeit. Das Programm liegt in den beteiligten Kinos und in Szenekneipen aus. Einzelkarte: 11 Mark, Fünferkarte: 50 Mark.