Ein Mittler zwischen den Welten

Heute beginnt in Berlin der Prozeß gegen den DDR-Anwalt Wolfgang Vogel / Die Staatsanwaltschaft wirft dem ehemaligen Unterhändler Erpressung, Untreue und Meineid vor  ■ Von Julia Albrecht

Berlin (taz) – Die Berliner Staatsanwaltschaft hat sich entschieden, daß die Kanzlei von Wolfgang Vogel in Berlin eine „Außenzentrale des MfS (Ministerium für Staatssicherheit) der DDR“ sei. Nach der Anklageschrift hat sich der Anwalt der Erpressung in etlichen Fällen, der Untreue und des Meineides schuldig gemacht. Ursprünglich hatte die Staatsanwaltschaft dem heute 68jährigen 53fache Erpressung vorgeworfen. Doch 30 dieser Fälle ließ das Gericht mangels ausreichender Verdachtsmomente fallen. Vor allem geht es jedoch darum, die einmalige Rolle Wolfgang Vogels im Ost-West-Poker zu verurteilen. Der deutsch-deutsche Unterhändler öffnete mehr als einer Viertelmillion DDR-Bürgern den Ausreiseweg in den Westen. Vor dem Berliner Landgericht wird ab heute jener Mann stehen, der seit den 50iger Jahren aufs engste mit dem Ministerium für Staatssicherheit der DDR zusammenarbeitete und gleichzeitig mit den politischen Größen Westdeutschlands vertraut war.

Die Mächtigen reichten sich bei ihm die Hand

Anders als Manfred Stolpe oder Gregor Gysi, hat Vogel nie bestritten, in nächster Nähe der Herrschenden der DDR agiert zu haben. Er war offiziell Erich Honeckers „Persönlicher Beauftragter für humanitäre Fragen“. Die Persönlichkeiten im Westen, die mit ihm in Kontakt traten, taten dies nicht trotz seiner Nähe zu den Mächtigen des Ostdeutschen Staates, sondern gerade wegen dieser Nähe. Vogel war ein Mittler zwischen den Welten. Er verhandelte ebenso mit Erich Mielke und Erich Honecker, wie mit Helmut Schmidt, Herbert Wehner oder Rainer Barzel. Richard von Weizsäcker sagte 1986: Das Vertrauen, das Vogel „bei den Eingeweihten des Westens“ genieße, stehe „hinter dem nicht zurück, was seine Auftraggeber ihm zu Hause entgegenbringen“. Ein Vertrauen, das bei einigen bis heute anhält. Während seiner vorübergehenden Untersuchungshaft besuchte ihn Ex- Bundeskanzler Helmut Schmidt, und Hans-Jochen Vogel machte sich öffentlich für ihn stark.

Rund 250.000 DDR-Bürgern ermöglichte der Jurist zwischen 1961 und 1989 die Ausreise zu Verwandten in den Westen, 31.775 Häftlinge wurden mit Vogels Hilfe freigekauft. Durch sein Verhandlungsgeschick konnten Spione wie Günter Guillaume ausgetauscht werden. Jeder der Häftlingsfreikäufe lief über Vogels Tisch. Er tat das nicht allein. Westanwälte halfen ebenso wie Kirchenobere und die Staatssekretäre des Ministeriums für Innerdeutsche Angelegenheiten. Auch jene Menschen, die zu ihm kamen, weil sie eine Ausreisegenehmigung wollten, wußten, wer Vogel war: der einflußreichste Anwalt der DDR. Wollte man nicht nur eine Zusage, sondern ein wirkliches Gelingen des Ausreisebegehrens, wandte man sich an ihn. Er war dafür bekannt, daß seine Zusage einem Ehrenwort gleichkam. Seine Rolle bestreitet Vogel nicht. „Ich hätte auch mit dem Teufel paktiert, wenn ich nur keiner werden mußte. Mein Ziel war stets die Hilfe für die Bedrängten.“ An dieser Hilfe hat er kräftig verdient. Allein von der Bundesrepublik erhielt er zuletzt eine jährliche Pauschale von über 300.000 Mark. Der Osten zahlte 100.000 Ost- und 50.000 Westmark pro Jahr. „Ich habe bereits in den fünfziger Jahren begriffen“, sagt Vogel heute, „die Macht in diesem Staat geht von der Staatssicherheit aus; wenn du etwas erreichen willst, mußt du dich dahin wenden.“

Daß eines Tages Vorwürfe vom Westen kommen würden, eine Anklageschrift, Untersuchungshaft und Verwerfung, damit dürfte er kaum gerechnet haben. Eher lebte er in der Angst, eines Tages selbst ein „Fall der DDR-Justiz zu werden“, sein eigener Fall sozusagen. Aber davor hätte er sich nicht fürchten müssen. Denn dann wäre wohl die Freikauf-Maschinerie in Bewegung gekommen, die er selbst Anfang der 60er Jahre in Gang gesetzt hatte. Vielleicht wäre um seinen Preis gefeilscht worden, wie zu Beginn der fragwürdigen Geschäfte noch üblich. Ein Akademiker war mehr wert, als ein Arbeiter, für einen „Lebenslänglichen“ mußte der Westen tiefer in die Tasche greifen als für einen Kurzzeitinhaftierten. Erst später wurde eine Grundsumme von 40.000 Mark festgelegt, die sich ab 1977 auf 95.847 Mark erhöhte.

Erpreßte Vogel tatsächlich DDR-Bürger?

Einige seiner ehemaligen Klienten sagen heute, daß sie von Vogel erpreßt worden seien, ihr Hab und Gut zu veräußern, um einen Ausreiseantrag genehmigt zu bekommen. Der Vorwurf stimmt. Allerdings hat nicht Anwalt Vogel die erpresserischen Voraussetzungen gesetzt. Alle, die die DDR verlassen wollten, mußten nach einer 1977 erlassenen Rechtsverordnung des Innenministeriums „eine ordnungsmäßige Regelung“ der eigenen „Grundstücksangelegenheiten nachweisen“. Sie mußten also verkaufen, und zwar für wenig Geld. Mit Hilfe dieser Verkäufe erwarb die Stasi ganze Straßenzüge. Die Staatsanwaltschaft ist der Auffassung, daß Vogel sich nicht nur den Gegebenheiten unterstellt, sondern als Beauftragter der Stasi die Verkäufe selbst gemakelt habe.

Bis 1957 soll er unter dem Namen „Georg“ für die Stasi Berichte verfaßt haben. Aber: Ist dieser Vorwurf strafrechtlich relevant? Und sind es die anderen? Sicherlich war Vogel nicht nur ein Mittler zwischen den Welten, sondern ein Mann, dessen Handlungen moralisch nicht in ein eindeutiges Licht zu bringen sind. Wolfgang Biermann formuliert das so: „Ich denke, lieber Rechtsanwalt, auch Sie unterliegen mit Ihrem heiklen Geschäft dem geschichtlichen Wandel. Was gestern noch edel war, kann morgen schon mies sein. Will sagen: Mit den Verhältnissen ändert sich das moralische Urteil.“