■ Björn Engholm legt sein Landtagsmandat nieder
: Muß Elektra Trauer tragen?

Natürlich nicht. Man kann der VEBA und ihrer Tochter PreussenElektra nur zu dem Coup gratulieren, der ihr im September 1994 mit dem Beratervertrag für Björn Engholm geglückt ist. Gänzlich verfehlt wäre es, Engholms künftige Dienste mit der Tatsache in Verbindung zu bringen, daß der Energiekonzern, Betreiber der AKWs in Schleswig-Holstein, begehrlich-expansive Blicke nach Osten wirft. Der ehemalige Träger der August-Bebel-Taschenuhr will zwar seine Kenntnisse von Land und Leuten des Baltikums in die Geschäftsverbindung einbringen. Allein, die Chancen, den Energiebedarf der baltischen Staaten vermittels deutscher AKW-Technik zu beheben, sind ins Aschgraue gesunken. Und für die Modernisierung des litauischen AKW Ignalina, das auf einzigartige Weise sämtliche nur denkbaren Gefahren und Risiken der atomaren Energieproduktion in sich vereint, fehlen die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen. Außerdem ist dort Siemens, freilich mit einer bescheidenen Behälterlieferung, bereits im Geschäft.

Nein, man muß wörtlich nehmen, was Engholm über Schleswig-Holsteins SPD zu seinem neuen Job verbreiten ließ: „Meine Beratertätigkeit ist vom täglichen Geschäft des Unternehmens getrennt und berührt oder verändert gar unterschiedliche Auffassungen [über den Nutzen der Atomenergie; C.S.] nicht.“ Keineswegs wird Engholm zugemutet, seine energiepolitischen Überzeugungen preiszugeben. Im Gegenteil. Er soll vielmehr den Konzern um jene Tugenden bereichern, die in seiner, Engholms, Partei nicht mehr gefragt sind: wohltemperiertes Epikuräertum, Freude an den schönen Dingen des Lebens, Wehmut, gefaßter Verzicht. Es sind dies die Eigenschaften, die der PreussenElektra von Nutzen sein werden, wenn sie, von wohlverstandenen Erwägungen des Profits geleitet, sich aus dem AKW-Geschäft zurückziehen wird. Eine Zukunftsinvestition!

Die schleswig-holsteinischen Sozialdemokraten waren deshalb ihrerseits gut beraten, Engholms Beratervertrag nicht für ehrenrührig zu halten. Man werde, so hieß es aus Kiel, weiter zusammenarbeiten. Solch noble Worte unterscheiden sich vorteilhaft von den Invektiven, die Dietrich Stobbe oder Walter Momper erdulden mußten, als sie, aufs andere Ufer setzend, zu ihrer zweiten Berufskarriere aufbrachen. Und ist Engholms mutiger Schritt, nach der Klärung seiner Berufsperspektive sein Landtagsmandat niederzulegen, nicht auch aus politisch-pädagogischer Perspektive wertvoll? Zeigt er doch den Nutzen der vielgelästerten politischen Tätigkeit auch für die rauhe Welt des Kapitals und ist somit geeignet, der Politikerverdrossenheit entgegenzuwirken. Christian Semler