Die Kannibalen kommen

■ "Tango" - das war's. Wer wagt sich als nächster auf den Markt der Wochenpresse?

Das Privatfernsehen hat damit schon längst keine Probleme mehr: „Wir sind“, sagt RTL-Chef Helmut Thoma, „ein Transportunternehmen. Wir bieten Transportkapazität von A nach B.“ Wobei A die Werbetreibenden und B die Zuschauer sind. Will dagegen einer ein neues Wochenblatt oberhalb der Quick-Qualität auf den Markt werfen, dann müssen hehre journalistische Ziele her. Von einer „ganz neuen Art von Infoillustrierten“, einer Innovation, die nur mit Henri Nannens Gründung des Stern zu vergleichen sei, tönte monatelang Hans-Hermann Tiedje über sein neues Projekt bei Gruner+Jahr namens Tango .

Die Medien rannten ihm die Redaktionsstube ein. Würde er den Stern stutzen oder stürzen? Die auf Einstellung des Weltrekords gelegte Latte ließ dann den erfolgsgewohnten Ex-Bild-Chef tief stürzen, als Leser und Werber das Kioskprodukt in den Händen hielten: ein fades, inaktuelles Einerlei aus Bunte, Stern und Gala, mit einer gut aufgewärmten Titelstory über Steffi Grafs diverse Zipperlein.

„Den größten Illustriertenerfolg seit der Gründung des Stern oder einen Riesencrash“ hatte Tiedje angekündigt. Es scheint, als behielte er mit der zweiten Prognose recht. Unter Hamburger Verlagen, so meldet das Branchenblatt Werben & Verkaufen, kursieren Zahlen, die von 650.000 Neugier-Käufern auf unter 400.000 heruntergehen. Und für die Werbebranche zählt der Trend. Die schaltete beim Start 72 Anzeigenseiten, in der vierten Nummer nur noch 41.

Letzten Donnerstag hatte das renommierte Adolf-Grimme-Institut in Marl zu einer Diskussion über den „Strukturwandel der Wochenpresse“ geladen und mit Thomas Koch auch einen der führenden Mediaplaner hinzugebeten (er besitzt eines der Beratungsunternehmen, die den Firmen empfehlen, wo sie ihre Werbung schalten sollen). Inmitten all des Rummels um Tango und die noch geplanten neuen Wochenblätter der Verlage Bauer, Springer und Burda sieht Koch vor allem eine Innovation: „daß wir jetzt soviel über noch gar nicht existierende Medien reden“.

Tiedjes Stellvertreter Wolfgang Maier hatte in Marl erst zu- und dann, nach den verheerenden Reaktionen auf die ersten Ausgaben, wieder abgesagt. Grimme-Institutsdirektor Lutz Hachmeister äußerte denn auch sein „menschliches Verständnis“, als er den leergebliebenen Stuhl erklärte – hätte der Geladene sich doch auch noch Thomas Kochs trockenes Resümee anhören müssen: „Tango – das war's.“

Und nach Focus?

Statt Innovation sieht der Mediaplaner die „Kannibalisierung“ im Aquarium der Wochenpresse heraufziehen. Als Hecht tummelt sich dort seit Anfang letzten Jahres Focus (Burda). Mit kontinuierlichem Käuferzuwachs auf über 600.000 hat das Nachrichtenmagazin – das erste, das ohne Nachrichten auskommt, höhnen manche – dem Spiegel zwar nur lächerliche 30.000 Käufer von seinen 1,1 Millionen abgenommen. Doch entscheidender sind die Anzeigenseiten. Die hat Focus gegenüber 1993 fast verdoppelt, die gesamte übrige Wochenpresse dagegen verlor zwischen gut 10 Prozent (Spiegel) und über 40 Prozent. Um 20 Milliarden Mark geht es auf dem Werbemarkt. Die Zeitschriften sind hier seit den achtziger Jahren gegen das Fernsehen steil abgerutscht, von 41 auf 27 Prozent. Jetzt hastet jeder Verlag voran auf der Suche nach der modernen, erfolgreichen, unternehmerfreundlichen und jugendlichen Zielgruppe.

Focus hat sie tatsächlich gefunden, mit seinem Phantasiebegriff „Infoelite“. Doch was kommt danach? Wie viele Zeitschriften pro Woche sollen die bei der Werbewirtschaft begehrten „Entscheider“ denn noch lesen? Sechs, sieben, acht? Jeder neue Titel muß zudem mit ungeheurem Werbeaufwand in den Markt gehievt werden. Eine runde Million, so rechnet Thomas Koch vor, braucht das pro Woche. „Keine Markenartikelfirma kann sich das leisten, aber offenbar die Verlage.“

Wer wagt es als nächster? Im Adolf-Grimme-Institut blickten alle gespannt auf Hartmut Volz, den Ko-Chefredakteur von Feuer, virtuelle Konkurrenz von Spiegel und Focus. Im August noch hatte der Sprecher seines Bauer-Verlags angekündigt: „Wir könnten morgen anfangen“, jedenfalls noch in diesem Jahr werde man erscheinen. Volz dagegen wollte sich jetzt auf einen Starttermin nicht mehr festnageln lassen. Bereit sei man im Dezember. Sprich: Ob und wann's wirklich losgeht, entscheidet dann nicht mehr die Chefredaktion.

„Kritisch-liberal“

Und das Konzept? Bei Verlagssprecher Roman Köster hatte es Anfang August noch nach konservativem think positive geklungen: „Die Zeitschrift soll wieder Spaß und Freude beim Lesen bringen und Schluß machen mit dem erhobenenen Zeigefinger der Journalisten.“ Fragt man dagegen Chefredakteur Volz, der 17 Jahre lang beim Spiegel war, dann klingt das anders. Erst windet er sich, dementiert routiniert die Begriffe links und rechts, läßt sich dann gerade noch auf ein „kritisch-liberal“ festlegen. Und jedenfalls keine Illustrierte, sondern ein richtiges „Nachrichtenmagazin“. Stimmt das, dann muß er allerdings schaffen, was nicht einmal Focus gelang: kräftig im Spiegel-Lesermilieu zu wildern. Bei den „Aufstiegsorientierten“, sagt er (und das klingt nun wieder nach Focus).

Der Spiegel hat sich auch auf die neue Lage eingestellt. Ressortleiter Joachim Bölke ist gleichzeitig Chef der Mitarbeitergesellschaft, die die Hälfte der Anteile hält. Er gibt zu, daß das liebgewordene Monopol auf absehbare Zeit dahin ist, daß es wegen der Anzeigenrückgänge wenig oder auch keine Gewinne geben wird. Doch daß man kaum Leser verloren hat, bestärkt die Redaktion: Etwas Farbe hat das Blatt bekommen, aber nicht zuviel. Markenzeichen sollen die „ausrecherchierten Geschichten“ bleiben. Schneller, kürzer, bunter ist noch keine Erfolgsgarantie, im Jahr zwei nach Markwort. Michael Rediske