„La Paloma“ im kalten Berlin

Die Winterpause von Schaustellern und Schweißern muß im Sommer hart erarbeitet werden / Kaum einer setzt sich monatelang in den Süden ab  ■ Von Barbara Bollwahn

Im Januar und Februar könnte der Schausteller Manfred Goll* ordentlich auf die Urlaubspauke hauen. Denn in seiner Berufsbranche ist in den ersten beiden Monaten des Jahres Betriebspause angesagt. So richtige Ferienstimmung kommt bei Goll aber nicht auf. „Ich werde in die Röhre gucken und am Computer sitzen“, weiß er jetzt schon. Statt auf der heimischen Couch Däumchen zu drehen, würde er viel lieber ins spanische Benidorm, Hochburg der Berliner Schausteller, fahren.

Aber das Geschäft mit gebrannten Mandeln, Erdnüssen, Zuckerwatte und Pfefferminzbruch, die er in der dritten Generation verkauft, lief dieses Jahr nicht so gut. Den letzten Urlaub in der Saisonpause konnte er sich vor sieben Jahren leisten. Den Grund dafür sieht Goll in der allgemeinen Rezession und darin, daß die Berliner, die jahrelang „eingesperrt“ waren, jetzt auf Entdeckungsreise ins Umland gehen und ihr Geld lieber für brandenburgisches Wild statt für kandierte Früchte ausgeben.

Auch Harry Mutz*, Betreiber einer Geisterbahn, wird nach dem Weihnachtsmarkt nicht gen Süden fahren können. Wie viele seiner Kollegen wird er die rummelfreie Zeit dazu nutzen, um seine Rummelattraktion auf Vordermann zu bringen. Dann werden neue Monsterattrappen gebaut, das zweistöckige Geisterhaus wird repariert und frisch angestrichen. Statt Urlaub können sich Mutz und seine Frau nur einen früheren Feierabend leisten. Wenn in der Saison die künstlichen Augen der Polyester- Gruselfiguren erst um Mitternacht verlöschen, legen deren Betreiber im Winter bereits zur Tagesschau-Zeit die Füße hoch. Ansonsten genießen sie die Ruhe nach dem Trubel und der Hektik. „Da ist man froh, wenn man mal auf der Couch sitzen kann.“

Für den selbständigen Schweißer Georg Bayer dagegen ist in den Wintermonaten fast immer „La Paloma“ angesagt. Wie im Märchen von der Ameise, die im Sommer fleißig für den Wintervorrat arbeitet, muß er für die zwei bis vier „Leerlauf-Monate“ im Winter den Rest des Jahres bis zu 280 Stunden monatlich arbeiten. So wie im letzten Jahr, als er in den Hauptsaisonmonaten von Mai bis November ein Rohr nach dem anderen im Auftrag der Bewag und Gasag schweißte. „Ich muß in der Saison so viel Geld wie möglich machen“, sagt der 33jährige Schwabe. Dann kann er, so wie im letzten Jahr, vier Monate zu Hause auf der faulen Haut liegen. „La Paloma“ in Berlin: Er saß zu Hause, hat mit den Kindern gespielt und an seinem Motorrad rumgebastelt. Diesen Winter wird er ebenfalls zu Hause bleiben: durch einen schweren Motorradunfall ist er bereits seit Wochen krankgeschrieben.

Da ist Egon Klar*, der in seiner Schweißbaufirma keine Saison kennt, wesentlich anspruchsvoller. Zweimal Brasilien im Jahr reicht ihm längst nicht mehr. Während seine zwei festen Mitarbeiter die Firma das ganze Jahr über am Laufen halten, düst der Chef im November zum dritten Mal nach Rio de Janeiro. „Arbeiten kann man immer“, sagt der gelernte Schweißer, bei hochlegierten Stählen müsse man bei Minusgraden eben etwas aufpassen. „Fragen Sie mal einen Träger, ob es ihm zu kalt ist“, lacht der 53jährige, der das Flugticket für November schon in der Tasche hat. Viel mehr als erschwerende Minusgrade machen ihm die „DDR-Scheißer“ zu schaffen. „Die Saison endete bei mir, als der Osten nachrückte“, regt sich Klar auf, der immerhin einen Jahresumsatz von einer Million Mark macht. Unternehmen aus den Neuen Ländern würden die Preise unterbieten und schlechtere Leistung bringen. Trotzdem greift er gerne auf Zeitarbeitsfirmen im Osten zurück, wenn sein kleiner Betrieb die anfallenden Aufträge nicht schafft, denn diese sind nach wie vor billiger als westliche Leihfirmen.

*Namen von der Red. geändert