Panzer am Checkpoint Charlie

Kunstspektakel von HA Schult vor der Eremitage in St. Petersburg wird heute abend per Satellit live am Checkpoint Charlie übertragen  ■ Von Noäl Rademacher

Am 17. Juni 1953 fuhren am Checkpoint Charlie sowjetische und amerikanische Panzer gegeneinander auf. Heute um 22 Uhr werden sich an diesem Ort erneut feindliche Panzer gegenüberstehen, jedoch lediglich auf der Leinwand. Auf dem Grundstück des künftigen „Business-Centers“, vor der Häuserwand, die mit verwitterten Lettern vergeblich für die Neue Zeit wirbt, werden heute ab 13 Uhr die Aufbauarbeiten für ein Medienspektakel der besonderen Art beginnen. Per Satellit soll eine aufwendige Kunstaktion des Kölner Happeningkünstlers HA Schult live aus St. Petersburg übertragen werden.

Auf dem Platz vor der St. Petersburger Eremitage, dem ehemaligen Winterpalais des Zaren, hat der Künstler eine Lichtskulptur aus sieben bis acht Meter hohen Buchstaben, die das deutsche Wort „Krieg“ bilden, errichtet. Zusammengesetzt sind die Buchstaben aus feinen, mit winzigen Lämpchen besetzten Kunststoffleitungen, wie sie in der Medizin bei Magenspiegelungen eingesetzt werden. Um 24 Uhr Ortszeit (22 Uhr Mitteleuropäischer Zeit) wird HA Schult zwei T-80-Panzer der russischen Armee, der eine weiß, der andere schwarz marmorisiert, auffahren lassen. Gemeinsam werden sie daraufhin die Buchstaben auseinanderreißen, die nach Wunsch des Künstlers zu „feinem Lichtstaub“ zerfallen werden.

Zahlreiche Sponsoren sind an dieser bedeutungsschwangeren Aktion beteiligt, so etwa die Deutsche Telekom. Auf dem Time Square in New York wird ebenfalls eine Leinwand stehen, auf der die Satellitenbilder zu sehen sind. Laut Veranstalter betragen die Kosten für das Spektakel rund 1,5 Millionen Mark.

Als Schauplatz habe man St. Petersburg gewählt, um an die jahrelange Belagerung der Stadt durch die Deutschen im Zweiten Weltkrieg zu erinnern, so der Künstler. Aus demselben Grunde habe man sich auch für einen deutschen Schriftzug entschieden. Sicherlich wird dies aber auch die deutschen Sponsoren freuen, denn was sollte ein ratloses Berliner Publikum anfangen mit dem Wort „Waina“ in kyrillischer Schrift?

HA Schult, Jahrgang 1938, hatte Ende der sechziger Jahre zum ersten Mal mit künstlerischen Aktionen auf sich aufmerksam gemacht, die die Konsumgesellschaft anprangerten und auf die ökologische Katastrophe hinwiesen. Müll als Ausscheidungsprodukt des Konsums war Thema verschiedenster Aktionen, so warf er 1969 fünf Tonnen Altpapier auf eine Straße in München-Schwabing. Für die „documenta 5“ 1974 schuf er biogenetische Landschaften in Lebensgröße. 1990 ließ er zehn bemalte Autos der Firma Ford um den Kölner Dom kreisen. Ein goldener Ford mit Flügeln steht dort noch immer auf einem Wohnhaus. Die heutige Aktion dagegen zeichnet sich eher durch die Selbstinszenierung des Künstlers und den Medienrummel als durch einen politischen Gehalt aus.

Die Veranstaltung am Checkpoint Charlie beginnt um 21.45 Uhr mit einer Rede von Klaus Landowsky, dem Fraktionschef der CDU im Berliner Abgeordnetenhaus. Um 22 Uhr wird sich HA Schult höchstpersönlich live aus St. Petersburg dazuschalten, um das Panzerspektakel einzuleiten. Die Aktion selbst wird lediglich etwa 12 Minuten in Anspruch nehmen. Nachdem die Panzer mit ohrenbetäubenden Lärm „Krieg“ in „Lichtstaub“ verwandelt haben, soll nach Wunsch des Künstlers kein großes Fest stattfinden, sondern absolute Ruhe herrschen, um die Zuschauer zum Nachdenken anzuregen. Die deutschen Sponsoren scheinen diesen frommen Wunsch allerdings hintertreiben zu wollen: auf dem Checkpoint sind Bier- und Glühweinzelte geplant.