BBC auf dem Goldzahn Von Alois Berger

Irgendwann ist mir aufgefallen, daß ich nur noch links kaue. Was daran liegen mag, daß ich vor einigen Tagen die Goldkrone von rechts unten verschluckt habe. Aber zum Zahnarzt will ich nicht gehen, ich hab nur noch 22 ganze Zähne. Die anderen haben sie mir gezogen oder weggebohrt – weil ich manchmal schlecht sehe.

Die Goldkrone war so eine Sache, unnötig wie ein Kropf. Das heißt, jetzt nicht mehr, ein aufgebohrter Zahn braucht einen Deckel. Aber vor ein paar Jahren war da nur eine klitzekleine Amalgamfüllung, die nicht wehtat und nicht störte. Die aber rausmußte, weil sie zu summen anfing, als gegenüber eine Goldbrücke eingezogen wurde. Zwei verschiedene Metalle in Flüssigkeit, so funktioniert jede Batterie. Nette Freunde rieten damals, die Brücke genauer einstellen zu lassen, dann könnte ich vielleicht BBC hören, auf 648 Kilohertz. Oder irgendeinen russischen Sender zum Üben.

Mein Zahnarzt empfahl, die Amalgams herauszunehmen und durch Plastik zu ersetzen, was in den Jahren danach gleich eine ganze Generation von Zahnärzten wohlhabender gemacht hat. Denn die Dinger werden mit der Zeit undicht, so daß sich allerhand Müll drunter ansammelt, der nicht gesund ist. Auf eindringlichen zahnärztlichen Rat habe ich inzwischen überall Goldkronen oder Inlays, die leider nur halten, wenn der halbe Zahn weggefräst wird. Alles in allem also vier Tiefbohrungen für mich und eine Goldgrube für die Zahnarztbranche. In jedem Fall waren die Kunstwerke schon in der Grundausstattung ziemlich teuer und sind nacheinander mindestens achtmal herausgefallen. Mit Vorliebe unterwegs, wo sie im weichsten Hamburger steckenbleiben und gegen viel Geld wieder eingesetzt werden müssen.

Aber vielleicht sollte ich zum Anfang kommen. Die stromerzeugende Goldbrücke war notwendig geworden, weil es vor zehn Jahren eine Focustheorie gab, die sich für das freiberufliche Gesundheitswesen zu einer sehr ertragreichen Veranstaltung entwickelt hat. Jede Krankheit hat einen Herd, so die Lehre damals, der meist irgendwo im Körper sitzt, vor allem dann, wenn der untersuchende Arzt an der Unglücksstelle selbst keine Hinweise auf die Ursache findet. Deshalb schickte mich ein Augenarzt wegen geheimnisvoller Trübungen in meiner Linse zur Focussuche durch vier Spezialkliniken.

Die einen wollten meinen Blinddarm, die anderen die Mandeln, die dritten forderten vier Zähne, und die vierten wollten die Augen anschneiden. Ansonsten würde ich in zwei Jahren blind sein. Das mit den Augen hörte sich am Vernünftigsten an, war aber in der Saarbrücker Augenklinik. Und da hatte ich kurz vorher einen jungen Oberarzt kennengelernt, der mir vorschwärmte, daß er hier ganz fix sein Facharztdiplom bekommen werde. Weil in Saarbrücken jeder viel mehr operieren dürfe als anderswo üblich sei. Ich hab' mich für die Zähne entschieden.

Seit ich mich von Ärzten fernhalte, geht es wieder aufwärts mit mir. Die Trübungen im Auge sind zwar geblieben, aber das mit dem Blindwerden hat sich in zehn Jahren als leere Drohung herausgestellt. Außerdem lebe ich in Belgien, und Fritten kann man auch links kauen. Zur Zeit studiere ich die belgische Gebührenordnung, um herauszufinden, ob man den Zahnärzten hier trauen kann.