Wildragout aus Liebe zum Tier

300.000 Deutsche fühlen sich dazu berufen, im Wald Ordnung zu halten / Deutscher Jägertag fordert uneingeschränktes Waffenbesitzrecht  ■ Aus Berlin Thorsten Schmitz

Die „widerlichen Mörder“ sind schon zeitig auf den Beinen und fast alle zum ersten Mal in Berlin. Unter Sehenswürdigkeiten dieser Stadt verbuchen die rund 1.000 Männer und Frauen der jagenden Zunft – Durchschnittsalter jenseits der 50 – auch ein Häuflein autonomer Tierschützer aus Recklinghausen. Auch die sind schon seit sieben Uhr unterwegs, weil sie, wie ein Jäger aus Regensburg sekundiert, „selbst eine ermattete Stubenfliege noch künstlich beatmen würden“. Und weil sie meinen, daß „Milch weißes Blut“ sei. Das steht auf ihren Buttons.

Die Welt der vegetarischen Demonstranten, die eben noch im E-Werk den Techno-Tritt übten, basiert auf einem Zweispartensystem. Darin gibt es Nicht-Mörder und Mörder. So müssen sich die Delegierten des Bundesjägertags (Motto: „Jagd in Deutschland – flächendeckend unverzichtbar“) gefallen lassen, daß die Lebensjünger ihnen überallhin folgen und sie beschimpfen. Aber ein richtiger Jäger läßt sich nicht aus seiner waidmännischen Contenance bringen. Nach dem Motto „Jetzt erst recht“ passieren die braungrün Gewandeten das Spalier der Recklinghausener. Berlins Autonome liegen vermutlich noch unter Daunen, was die Präsidentin des Abgeordnetenhauses, Hanna-Renate Laurien, zu der Spitzfindigkeit verleitet: „Berlin hat schon bessere Demonstrationen erlebt.“

Etwas Grünes braucht der Mensch, der Jäger sowieso. So hat man an zentralen Punkten im Audimax der Humboldt-Uni Topf- Tannen plaziert. Ein Informationsstand lockt mit „Flintenschießen leichtgemacht“ oder „Jagdwaffen praktisch“. Außerdem gibt es Plakate mit Rassehunden, die glücklich sind, Rehen nachstellen zu dürfen. Eine Combo bläst zum Halali, was ein seeliges Schimmern auf die Apfelbäckchen der Kongreßteilnehmer zaubert.

Jagen und Naturschutz im selben Atemzug

Es gibt fast nur Männer. Ein paar Ehefrauen tapsen ihnen hinterher und übernehmen nur das Regiment am Buffet: Wildbuletten oder Wildbraten? Was sich liebt, das ißt sich. Denn tatsächlich lieben die Jäger Wild und Wald, sie schaffen doch nur Ordnung mit Waffen und Waidmannsheil. Das erzählen sie alle wie geklont und mit großen Augen, wenn sie jemand fragt, worin die Lust am Töten bestehe.

Kirsten Bayer, von Beruf kaufmännische Angestellte, hat die Corporate identity des Deutschen Jagdschutz-Verbandes völlig verinnerlicht. Wenn sie Hirsche und Hasen erschießt, denkt sie eben nicht: „Ach Gott, das tut mir jetzt aber leid.“ Denn in Ausübung ihres Hobbys „schöpft“ sie „den Überschuß“ ab. Die Polizisten und zeitverpflichteten Bundeswehrsoldaten, Bauern, Adeligen und anderen Jagdfreunde haben sich auf eine Sprachregelung geeinigt, mit der sie dem Rest der Welt weismachen wollen, sie würden gebraucht. Ein Berliner Rettungssanitäter will gar nicht abstreiten, daß es auch „Spaß“ mache, Tiere zu töten – er sagt: „die Natur zu schützen.“ In erster Linie aber treibt ihn eine selbstauferlegte Pflicht in den Forst: „Der Sinn des Jagens ist es, das Tier-Wald-Verhältnis in einem vernünftigen Gleichgewicht zu halten.“

Der Deutsche Jagdschutz-Verband vollzieht Jahr für Jahr eine Art psychologisches Aufbautraining für seine Mitglieder. Die Männer und Frauen in ihren Loden und Grobstrickstrümpfen können Natur nicht Natur sein lassen, sie verstehen sich als Regulatoren. Und so haben sie sich eine Realität geschaffen, in der immer im gleichen Atemzug von Naturschutz geredet wird, wenn es ums Jagen geht. Die Zerstörung der Natur, Flugzeugpisten, Autobahnen und Industriegebiete bilden ihre Arbeitsgrundlage. Die Gleichung klingt ganz einfach: Je mehr Wald verschwindet, desto mehr Tiere tummeln sich auf immer kleinerem Areal. Jäger schaffen Ordnung, wo sie Unordnung vermuten. In der Philosophie des Deutschen Jagdschutz-Verbandes, der tatsächlich nur für den Schutz des Jagdrechts kämpft und etwa die legale „Bejagung von Rabenvögeln“ fordert, heißen Chemiefabriken und landwirtschaftliche Betriebsflächen „Kulturlandschaften“, die bei Pflanzen und Tieren „Streß“ verursachten. Jäger sorgten für „Ruhe“.

Und so fordert der Bundesjägertag Unterstützung: „Kein einschränkendes Waffenbesitzrecht, keine restriktiven Tierschutzgesetze, keine unmoralische Jagdsteuer.“ Im Bundesminister für Landwirtschaft haben die Jäger einen Fürsprecher gefunden. Seine Rede begann Jochen Borchert (CDU), mit einem Bekenntnis: „Ich freue mich, als passionierter Jäger unter Jägern zu sein, unter Freunden, die wissen, was es bedeutet, nach einem harten Arbeitstag das Arbeitsjackett gegen den grünen Jagdrock austauschen zu können.“