Göttliche Baustellen aus Holz und Papier

■ Eine Ausstellung in Venedig zeigt Architekturmodelle der Renaissance

Was macht man, wenn man nicht schlafen kann? Man zählt Schafe oder setzt sich an den Computer und mischt Daten durcheinander, oder man spielt mit Architekturmodellen. Letzteres ist die Empfehlung des Renaissancemenschen Alberti (1404–1472). Alberti schreibt seinem Werk „Über die Baukunst“, daß er nachts Säulen, Tragbalken und Ornamente miteinander kombinierte und sie so lange zu Fantasiebauten zusammensetzte, bis er endlich in den Schlaf fiel.

Möglich wurde diese Kombinationskunst durch die Verwendung mathematischer Meßtechniken. Mit ihnen entdeckten die Architekten des 15. und 16. Jahrhunderts die Antike neu. Dem Maler Hermann Posthumus war diese Meßleidenschaft 1536 ein Gemälde wert. Leicht bekleidet in lockeren Tuniken, schwärmt der Renaissancemensch durch die italienische Landschaft. Dabei hat er Winkel, Zirkel und Graphometer, um der „fressenden Zeit“ durch Vermessung und Rekonstruktion ein Schnippchen zu schlagen.

Gemeinsam mit eindrucksvollen Holzmodellen, Manuskripten, Baugerüsten und Stadtansichten zählt Posthumus' Bild zu den Exponaten einer Ausstellung über die Architektur in der Renaissance. Sie ist im Palazzo Grassi, Venedig, zu sehen. Die Ausstellung ist weitgehend zweisprachig (Englisch/Italienisch) konzipiert, mit Ausnahme der Zitate aus den Schriften der frühmodernen Baumeister. Sie begnügt sich nicht damit, die Größe von Italiens Bauwerken in der Renaissance zu feiern, sondern zeigt ihre akribische Planung überhaupt. Die Architekten und Baumeister der Epoche mußten mit Modellen arbeiten, an die sie zum Teil durch Eid gebunden waren. Sie dienten der Information des Bauherren und Orientierung der Bauarbeiter zwischen den gewaltigen Steinmassen der „göttlichen Baustellen“.

Zwischen Idee und Verwirklichung

Die Ausstellung macht deutlich, daß die Modelle ihre eigene Wirklichkeit besaßen und selbst Bauzeit benötigten: Vom ursprünglichen Gedankenspiel während einer schlaflosen Nacht bis zu einem Holzmodell war es ein langer Weg. Anschaulich wird das durch ein Holzmodell des Petersdoms in Rom. Das Modell des Petersdoms ist so groß, daß es den Innenhof des Palazzo Grassi mit seinen gewaltigen Ausmaßen dominiert. Es sollte Klarheit über die Entwicklung des Baus verschaffen, mit denen der Heilige Stuhl sich an der Schnittstelle zwischen Mensch und Gott allen sichtbar behaupten wollte. Sieben Jahre lang benötigte die Werkstatt, um es nach den Vorstellungen des Architekten Sangallo zu bauen, und trotzdem war alles vergeblich: Antonio Sangallo starb wenige Monate vor der Fertigstellung des Modells.

Nach ihm kam Michelangelo, sah das Modell und begann zu ändern. Aber auch dieser päpstliche Baumeister wäre beinahe an dem Unterschied zwischen seinen mentalen Architekturbildern und deren Umsetzung gescheitert. Die Arbeit an dem ewigen Bau, der eterna fabbrica von Sankt Peter, ließ sich zunächst gut für ihn an. Unter Michelangelos Leitung schritt der himmlische Mauerbau voran. Doch dann konnten sich die besorgten Kardinäle am Papsthof keine klaren Vorstellungen mehr von der Kuppel mit ihren enormen Ausmaßen machen, und sie verlangten gemeinsam mit dem Papst nach einem neuen Modell. Michelangelo verfiel daraufhin in untätiges Brüten. Schließlich formte er ein Modell aus Lehm, das dann in „nur“ einem Jahr in Holz umgesetzt wurde.

Interesse an einem unsterblichen Namen

Die Produktionskosten, die Zeit, die zur Erstellung von Modellen benötigt wurde, sowie ihre Exaktheit sind Faktoren, deren Bedeutung die Ausstellung in Venedig hervorhebt. Leider sind Modelle oft vergeblich. Ein Beispiel dafür ist die Fassadenkonkurrenz, die Lorenzo il Magnifico mit Holzmodellen austragen ließ, um die Oberflächengestaltung des Doms „Santa Maria del Fiore“ in Florenz zu bestimmen. Jetzt werden diese Modelle gezeigt, die von den berühmtesten Baumeistern der Zeit zum Wettbewerb eingereicht wurden. Am Ende kam es jedoch zu keinem Entschluß, welche Fassade die „Heilige Maria der Blume“ schmücken sollte.

Die Baustelle in Florenz tritt an Bedeutung gegenüber der „ewigen Baustelle“ natürlich in Rom zurück. Das erkennt man an der Größe der Holzmodelle, aber auch an der Zahl der Ausstellungsräume, die in Venedig dem römischen Zentralbau gewidmet werden. Die Kuratoren verlieren in dieser Welt der Modelle die bauliche Praxis nicht aus den Augen: In einem Saal jedenfalls sind Bauwerkzeuge und Gerüste zu sehen. Ein Manko ist allerdings, daß man wenig über die Bauarbeiter und Modellschnitzer selbst erfährt. Man muß mit Brecht fragen: „Wer war es denn, der sieben Jahre für Sankt Peter schnitzte?“ Diese Frage erlaubt, auf eine Ego-Strategie der Architekten und Plänemacher der Renaissance hinzuweisen, die ein lebhaftes Interesse an einem unsterblichen Namen hatten. Beim schlaflosen Alberti, von dem man sagt, daß er die Ausführung seiner Pläne gern anderen überließ, kann man nachlesen: „Auch glaube ich, darf ich keineswegs unerwähnt lassen, was sehr wichtig ist, daß nämlich auf Glanz hergerichtete und sozusagen durch das Lockmittel der Malerei aufgeputzte Modelle vorzuweisen nicht das Vorgehen eines Architekten ist, der die Sache genau auseinanderzusetzen bestrebt ist, sondern eines selbstsüchtigen, der es versucht, den Beschauern die Augen auszuwischen [...]. Deshalb soll man keine kunstvoll ausgeführten, ausgefeilten Modelle machen, an denen Du den Geist des Erfinders, nicht aber die Hand des Verfertigers bewunderst.“ Nils Röller

Noch bis 6. November im Palazzo Grassi, Venedig. Der Katalog kostet 62.000 Lire.