Gedenkstätte im Grunewald

■ Lea Rosh will Deportations-Denkmal ihres Lebensgefährten durchsetzen

Es war im Juli 1993, als Ignatz Bubis, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, und Jerzy Kanal, Vorsitzender der Berliner Jüdischen Gemeinde, richtig böse auf die Bundesbahn wurden. Als „unsensibel und nicht hinnehmbar“, empfanden sie die Absicht, in der Nähe des S-Bahnhofs Grunewald eine Reinigungshalle für die neuen ICE-Hochgeschwindigkeitszüge zu bauen. Denn vom S-Bahnhof Grunewald aus rollten ab dem 18. Oktober 1941 die Deportationszüge in die Vernichtungslager des Ostens. Eine „ICE-Wagenbehandlungsanlage“ auf diesem Boden schände das Andenken der Deportierten und Ermordeten, sagten Bubis und Kanal.

Bundesbahnchef Heinz Dürr reagierte „erschrocken“ auf die Vorwürfe, von der Geschichte des S-Bahnhofs Grunewald habe er nichts gewußt. Es kam zu einem Spitzengespräch zwischen Bubis und Dürr – und nach einem Ortstermin zu einer gemeinsamen Presseerklärung. Die Bahn sei sich ihrer Verantwortung bewußt, und deshalb werde man vor Beginn der Planungen für die Waschanlage gemeinsam mit Zentralrat und Jüdischer Gemeinde überlegen, wie der historische Ort gekennzeichnet und zu einer „würdigen Gedenkstätte“ umgestaltet werden könne.

Dann legte sich der Sturm der Entrüstung, und die Zeit der Geheimverhandlungen begann. Auf Wunsch Jerzy Kanals hatte sich eine rührige Frau des Projektes angenommen – die Denkmalgründerin Lea Rosh. Sie steht auch hinter dem vor einer Woche in Hannover eingeweihten „Denkzeichen“ für die 1.892 aus der Stadt deportierten Juden und dem in Berlins Mitte geplanten zentralen Holocaust- Denkmal. Während aber in Hannover als auch am Pariser Platz künstlerische Wettbewerbe stattfanden und finden, will Lea Rosh das Denkmal am S-Bahnhof Grunewald alleine von ihrem Lebensgefährten, von Ehemann Jakob Schulze-Rohr gebaut wissen.

Denn der Berliner Architekt legte in diesem Sommer 1994 unaufgefordert und als einziger der Bundesbahn ein Konzept vor. Sein Entwurf sieht vier gegeneinander gesetzte Betontafeln (insgesamt 150 Meter Länge) direkt neben dem Deportationsgleis 17 vor. Auf den Tafeln beidseitig zu lesen sein sollen die Namen und das Lebensalter (zum Zeitpunkt der Deportation) von 51.000 Berliner Juden. Schulze-Rohr hat ausgerechnet, daß eine Million Zeichen nötig sind, 20 für jeden Namen. Um alle Namen unterzubringen, dürften die angebrachten Buchstaben nicht höher als 1,5 Zentimeter sein. Der Architekt hat der Bundesbahn auch schon einen Kostenplan vorgelegt. Gesamtsumme: rund zwei Millionen Mark. Auf einen Arbeitslohn will Jakob Schulze-Rohr verzichten, nur sein Name, der Name seiner Frau und ihres Fördervereins „Perspektive Berlin“, sollten bitte auf einer Zusatztafel stehen.

Das Paar schuf damit erst mal Fakten, mit denen sich die Bundesbahnmanager jetzt auseinandersetzen müssen. Ihr Problem dabei ist, daß sie nicht wissen, ob dieser Vorschlag eine Privatinitiative ist oder ob die Jüdische Gemeinde Berlin eine Realisierung dieses Entwurfes wünscht. Denn zwischen Jerzy Kanal und der Bahn herrscht seit der Ortsbesichtigung 1993 Funkstille. Bahn-Sprecherin Anfried Baier-Fuchs meinte zur taz, daß ihr Haus „schon lange auf einen Gesprächswunsch der Jüdischen Gemeinde warte“. Vor allem sei die Finanzierung einer wie auch immer gestalteten Skulptur ungeklärt. „Bis jetzt gehen wir davon aus, daß die inhaltliche Ausgestaltung als auch die Realisierung ausschließlich Sache der Jüdischen Gemeinde ist.“ Bisher habe die Bahn sich lediglich bereit erklärt, das Grundstück zu stellen, als auch die Kosten der Bauvorbereitung. „Aber wir sind offen für alle Vorschläge“, sagte sie. Über den Entwurf von Jakob Schulze-Rohr wollte sie sich nicht äußern.

Ebenfalls distanziert äußerte sich Jerzy Kanal. Auch er klagt, daß es bisher zu keinem Gespräch mit der Bahn gekommen ist. Der Entwurf von Jakob Schulze-Rohr sei als privater Denkanstoß zu werten, „im Prinzip haben wir nichts gegen einen künstlerischen Wettbewerb“. Zuvor müsse aber eindeutig feststehen, daß die Bahn die Kosten für die geplante zukünftige Gedenkstätte übernehme, da sehe er die größten Differenzen. Auch der Zentralrat der Juden ist über den Fortgang nicht unterrichtet.

Klare Bedenken gegen den exklusiven Entwurf von Jakob Schulze-Rohr äußerte bisher nur Günther Gottmann, Direktor des Berliner Museums für Verkehr und Technik. Der Professor, seinerzeit vom Zentralrat und der Bahn als Experte in den Beraterkreis S- Bahnhof Grunewald gebeten, meinte zur taz, daß 51.000 Namen auf vier Betonplatten sich lesen würden wie 125 Seiten eines Telefonbuches: „Die Absicht, die Menschen durch Individualisierung der Anonymisierung zu entreißen, verkehrt sich ins Gegenteil.“ Seiner Meinung nach würde es genügen, wenn neben dem bereits am S- Bahnhof Grunewald existierenden Denkmal des polnischen Bildhauers Karol Broniatowski (siehe Foto), Treppen bis hinauf zum ehemaligen Deportationsgleis gebaut werden würden, damit das Gelände von oben für jeden überschaubar ist. Im übrigen müsse vor allem daran erinnert werden, daß ab 1941 Tausende von BerlinerInnen die Deportation ohne Protest beobachteten. Ein Mahnmal für Zivilcourage würde er vor dem Bahnhof deshalb für am sinnvollsten halten. Anita Kugler