Ruf nach neuen Ketten

■ betr.: „Pfaffen kreieren neue Tod sünde“, taz vom 13.10.94

Homosexualität als hierzulande wieder öffentlich geächtete Todsünde? Das würde wohl auch bei uns so manch einem „bibeltreuen“ (Un-)geist gefallen. Greift nicht dieses Laster auch bei uns immer weiter um sich?

Wenn Schwule, Lesben und Bisexuelle heute viel offener ihr Lieben leben oder MitbürgerInnen auch nur einmal einen Ausflug an gar nicht so ferne Gestade wagen, dann ist das nur ein Teil einer längst fälligen freiheitlichen Entwicklung menschlichen Zusammenlebens. In Lettland sind die Fesseln eines Zwangsregimes gerade gefallen, erste Früchte der neuen Freiheit reifen, wie etwa eine offener gelebte Homosexualität, da rufen kirchliche Moralwächter nach neuen Ketten. Aber erst einmal nur für Homosexuelle.

Nicht nur, daß sie um die „moralischen Prinzipien“ einer „gesunden“ (???) Gesellschaft fürchten, nein, im ethnisch zweigeteilten Lettland sehen sie auch die „Erneuerung der (lettischen) Nation“ bedroht. Geht es also um die „Verweigerung“ der Homosexuellen im „regenerativen Überlebenskampf“ der lutherischen Letten gegen die orthodoxen Russen und die befürchtete „Ansteckung“ weiterer Gesellschaftskreise mit dem „National Immunedeficiency Virus“ (NIV)?

Nachtigall, ick hör die trapsen! Es ist noch gar nicht so lange her, da war diese Haltung auch hier noch – und länger als nur 1.000 Jahre – regierungsamtlich. Von den Köpfen, in denen sie noch herumspukt, ganz zu schweigen. Da müssen wir wohl wachsam bleiben! Weitere Informationen würden da übrigens nicht schaden. Mathias Braasch, Kiel