„Es ist wie nach zehn Jahren einer Ehe“

■ Antje Vollmer über das neue Verhältnis der Bündnisgrünen zu sich selbst

taz: Frau Vollmer, wenn Sie nach der konstituierenden Sitzung der neuen bündnisgrünen Bundestagsfraktion einen Vergleich zu früheren Fraktion ziehen: was ist neu, was ist anders?

Antje Vollmer: Die grüne Geschichte ist eine Geschichte von Neuanfängen. Die letzte Fraktion aus dem Osten war ein Neuanfang, und die jetzige ist es wieder. Ich begreife das nicht als Bruch. Das wird ein kreativer Versuch, sich auf der Bonner Bühne neu zu inszenieren. Ich denke, das Argument derer, die auch früher schon dabei waren: „berücksichtigt doch bitte mal unsere Erfahrungen“, ist keine Stichkarte. Das kann man nach der ersten Debatte schon sagen. Allerdings gibt es ein durchgängiges Muster: Wir wollen den durch viele Niederlagen erworbenen Konsens der Partei, vorsichtig, sensibel und ausbalanciert miteinander umzugehen, nicht gefährden.

War das gestern schon erkennbar?

Ja, an der Vorstandswahl. Die war von dem Geist getragen, daß jeder hier jederzeit zum Machtverzicht bereit ist. Das ergibt ein sorgsam ausgeklügeltes Ballett.

Aber das Neue ist doch, daß das jetzt akzeptiert wird, während es früher kein Ballett gab, sondern spektakuläre Konflikte.

Früher war jede Machtentscheidung eine Reaktion auf die vorherige. Das war die Strategie des Gegenschlages. Jetzt versuchen wir eine Gleichgewichtsphilosophie.

Wird sich das als Selbstverständnis durchhalten lassen?

Es wäre etwas früh, das schon jetzt vorherzusagen. Aber wenn wir uns die früheren Fraktionen in Erinnerung rufen, dann sind die Bedingungen heute einfach besser. Wir waren damals eine permanent öffentlich inszenierte Selbsterfahrungsgruppe. Dies sind die ersten Fraktionsdebatten der Grünen, die unter Ausschluß der Presse und ganzer Scharen von Interessierten geführt werden.

Werden denn zukünftige Sitzungen wieder öffentlich sein?

Die Frage ist gestern sehr schnell und mit einem fröhlichen Nein beantwortet worden. So komplizierte politische Entscheidungsprozesse wie die einer Fraktion lassen sich nicht öffentlich ausleben, ohne sie zu gefährden. Eine andere Brisanz früherer Fraktionen lag in den kulturellen Unterschieden der Landesverbände. Die Fraktion war der einzige Ort, wo diese unterschiedlichen Kulturen und Strömungstraditionen aufeinandergeprallt sind, und zwar ohne allgemein akzeptierte Regeln. Jetzt scheint es doch eine neue Grundakzeptanz zu geben, eine Methodik, Konflikte miteinander zu handeln. Das Dritte und wohl das wichtigste ist, daß es einen Konsens gibt über unsere Rolle in diesem Parlament und in dieser Republik. Alle spüren, daß entscheidende Dinge auf uns zukommen, möglicherweise auch ein Machtwechsel innerhalb der Legislaturperiode.

Liegt darin das disziplinierende Moment, von dem Joschka Fischer von Anfang an geredet hat?

Es ist eine Selbstbindung. Diese Fraktion wird keinen Grund liefern, der einen Machtwechsel verhindern würde. Das hat mit unseren politischen Erfahrungen zu tun, mit der Lust, es zu machen, und damit, daß es in dieser Frage keinen Konflikt zwischen Strömungen mehr gibt. Der alte Links- rechts-Konflikt, der sich immer wieder daran entzündete, ob wir im entscheidenden Fall auch Macht übernehmen würden, ist passé.

Politik geht über Köpfe? Gehört das jetzt auch zu den politischen Einsichten der Bündnisgrünen?

Personalisierung wird gelegentlich, nicht immer akzeptiert. Ein anderes Muster ist, die Strömungen zu berücksichtigen oder die Ost-West-Repräsentanz, oder den Wunsch, nicht immer nur die alten Gesichter sehen zu müssen. Die Jungen müssen auch eine Chance haben. Das spielt alles zusammen. Es gibt keinen Vorrang für Personen vor allem anderen.

Ist denn nicht auch die unangefochtene Führungsrolle von Joschka Fischer der Grund, daß Konflikte künftig nicht mehr als ruinöse Entscheidungsschlachten ausgefochten werden müssen?

Joschka Fischers Stellung ist unangefochten, nicht zuletzt weil er Großzügigkeit gegenüber anderen Interessen signalisiert.

Der gute Pate?

Er kann am deutlichsten das Bild der Fraktion und ihrer Rolle beschwören. Dieses Recht scheint ihm irgendwie zugewachsen: Er war der erste grüne Minister, er hat einen Landesverband geprägt. Im Flügelstreit war er erst eine umstrittene und dann eine akzeptierte Zentralfigur. Das gibt ihm jetzt diese etwas väterliche Aura, die diejenigen, die um ihre Rolle noch kämpfen müssen, gar nicht haben können.

Das, was man früher abschätzig als Burgfrieden bezeichnet hat, trägt also jetzt seine Früchte?

Schwierige Frage für mich, denn ich kenne auch den Preis. Es ist schon ein bißchen wie nach zehn Jahre Szenen einer Ehe, mit allen Exzessen. Wenn man dann ein Arrangement gefunden hat, ist man doch froh, daß man sich nicht getrennt hat und weiter seinem gemeinsamen Geschäft nachgehen kann. Das ist dann natürlich nicht mehr wie die erste Liebe. Wieviel Kreativität in diesem Arrangement steckt, das muß sich erweisen. Aber es bedeutet auf jeden Fall einen Zugewinn an Zivilität.

Das Arrangement, die neue Zivilität, das Tarieren wäre dann eine Voraussetzung für die Grünen, ihrer Rolle als Machtfaktor gerecht zu werden, während sich früher die Energien doch eher in den kraftraubenden, internen Debatten verbrauchten?

Der Nutzeffekt von Kinderkrankheiten ist: Man bringt sie hinter sich. Danach ist man immun.

Stichwort Vizepräsidentin des Bundestages. Sie sind gestern in der Fraktion für diese Position nominiert worden. Welche Bedeutung hätte denn für die Bündnisgrünen diese Position?

Traditionell war das ein eher repräsentativer Posten. Gern wurden auch verdienstvolle Leute dorthin und aufs Altenteil geschoben. Aus grüner Sicht wäre es ein erster Schritt durch die Tür in Richtung auf ein Bonner Staatsamt – also auch in Richtung auf das Zentrum der Republik.

Interview: Jürgen Gottschlich,

Matthias Geis