„Uns wurde die Pistole auf die Brust gesetzt“

■ Streit um Versorgungsleistungen: Pflege-Betriebe fürchten um ihre Existenz und klagen gegen Krankenkassen

Zwischen den rund 250 privaten Pflegediensten und Hamburger Krankenkassen eskaliert derzeit ein Streit um die Abrechnung der erbrachten Leistungen. Gestern versuchten mehrere Betriebe dem Treiben der Kassen per Einstweiliger Verfügung Einhalt zu gebieten, scheiterten jedoch an dem Vorsitzenden Richter der Kartellkammer des Landgerichts, der die Kläger beschwor, ein „normales Hauptverfahren“ anzustrengen.

Worum geht's? Die Versorgung von schwerstpflegebedürftigen Menschen wurde in den letzten anderthalb Jahrezehnten mehr und mehr von den Heimen in die Wohnungen der alten Menschen verlagert. Selbst Bettlägerige werden zuhause von privaten Diensten versorgt, die meist von ausgebildeten Krankenschwestern und Pflegern betrieben werden.

In diesem Sommer wurde der Vertrag zwischen dem „Verband der Angestellten Krankenkassen“ und der „Interessengemeinschaft der Pflegedienste“ neu verhandelt. Zuletzt am 8. Juli legten die Kassen einen Vertrag vor, der beachtliche Kürzungen beinhaltet. So sollten bisher extra honorierte medizinische Behandlungen wie Blutdruckmessen, Medikamentengabe unter Beobachtung sowie Bewegungsübungen künftig im Rahmen der Grundpflege erbracht werden, für die es eine Monatspauschale von 750 Mark gibt.

„Dies ist praktisch nicht zu machen. Da muß man einzelne Einsätze ganz streichen“, sagt Wolf-Dietrich Duncker, der einen Pflegedienst in Wandsbek betreibt. Denn die Grundpflege, zu der Körperwäsche, Ernährung und hauswirtschaftliche Versorgung gehört, sei bisher nur finanzierbar gewesen, weil sie durch zusätzliche Abrechnung der medizinischen Pflege bezuschußt wurde. Den einzelnen Betrieben, so schätzt Duncker, gehen durch die neue Regelung 30 bis 50 Prozent der Einnahmen verloren.

„Bevor wir diesen Vertrag akzeptieren, mußten wir unsere Mitglieder befragen“, erklärt Sigfried Schmidt vom Landesverband der Pflegedienste, der an den Verhandlungen beteiligt war. Dies habe wegen der Ferien bis September gedauert. Doch die Kassen hätten solange nicht gewartet und bei den rund 80 nicht organisierten Pflegediensten den Eindruck erweckt, die Interessengemeinschaft habe dem Vertragswerk zugestimmt.

„Dann hat man uns die Pistole auf die Brust gesetzt: Wenn ihr nicht unterschreibt, kriegt ihr keine Aufträge mehr“, berichtet Schmidt. Patienten, die sich über Jahre an Betreuungspersonen gewöhnt haben, hätten Briefe oder Telefonanrufe bekommen, daß ab morgen ein anderer Pflegedienst käme. „Mit alten Menschen kann man sowas nicht machen“, empörte sich gestern eine Frau aus dem Publikum, das zahlreich erschienen war.

Rechtsanwalt Ingo Lill, der einen von vier Klägern vertrat, fand, daß die Kartellkammer zuständig sei, hätten sich doch die Kassen verhalten „wie ein Monopol“. Doch der Richter insistierte darauf, daß ein Eilverfahren der falsche Weg sei. „Unterschreiben sie unter Vorbehalt“, riet er den Klägern und ließ im Protokoll vermerken, daß solch eine Unterschrift dem Rechtsanspruch der Kläger in einem Hauptverfahren nicht entgegen stehen würde. „Mit anderen Worten, wenn das in drei Jahren entschieden ist, kriegen wir vielleicht unser Geld“, bilanziert Sigfried Schmidt. „Aber bis dahin sind viele von uns bankrott“. K. Kutter