Supermarktfraß im Ökodorf

Angestellte eines Riesen-Biobauernhofs in Brandenburg können sich Demeter nicht leisten / Streit über Zukunftskonzept des Dorfes  ■ Aus Brodowin Marion Wigand

An der Zukunftsfrage scheiden sich Brodowins Geister. In der kleinen Ortschaft 60 Kilometer nordöstlich von Berlin wollen „viele von Öko nichts mehr hören“, bedauert Bürgermeister Wilhelm Winkelmann, der im ölverschmierten Blaumann hinter seinem Schreibtisch sitzt. „Und dem Großteil ist sowieso alles egal.“

Kurz nach dem Mauerfall wagte die ostdeutsche Gemeinde die Wende zum Ökodorf. Die Vordenker im Dorf priesen den biologischen Landbau und naturnahen Tourismus als Konzept zur Arbeitsplatzsicherung. Doch in den letzten vier Jahren ist die kleine Schar der Ökodorf-Anhänger vor Ort nicht gewachsen. Deren Pläne haben viele begeistert, nur die Brodowiner selber nicht. Das könnte sich jetzt ändern: Mit einer Finanzspritze will die Europäische Union die Umweltgemeinde fördern. Von riesigen Summen ist die Rede. Fördermittel in Höhe von 25 Millionen Mark sollen es sein, ist gerüchteweise zu hören. Allein schon der Gedanke an den Geldsegen ließ die Bürger wieder enger rücken. Sie einigten sich auf einen für die öffentliche Förderung notwendigen Dorfentwicklungsplan, in dem vor allem Traditionelles zählt. Hausbesitzer, die ihre bröckelnden Fassaden im dorftypischen Stil renovieren, werden bezuschußt. Der Bau von Fertighäusern dagegen ist generell verboten.

Eine ehemalige LPG als Herzstück des Biodorfs

„In zehn Jahren sind wir ein Ökodorf“, glaubt der Geschäftsführer der Agrargenossenschaft, Peter Krentz. Seinen Optimismus hat sich der 34jährige Biofarmbetreiber bewahrt, auch wenn er beim Umbau der ehemaligen LPG zu einem rationell arbeitenden Betrieb erhebliche Anfeindungen erlebt hat. „Wer wußte hier früher schon, was ökologischer Anbau war?“ fragt Krentz. Er reduzierte die ehemalige LPG-Mannschaft um mehr als die Hälfte auf 40 Mitarbeiter und verschrieb sich den Demeter- Richtlinien der biologisch-dynamischen Landwirtschaft. Statt Pestiziden wird jetzt ein Sud aus Hornspänen und Kräutern nach den Regeln des Anthroposophiebegründers Rudolf Steiner versprüht. Statt Mineraldünger sorgt Stallmist für Bodenfruchtbarkeit. Andere Biobauern halfen Krentz mit Tips und Tricks. Doch was auf westdeutschen Höfen mit einer durchschnittlichen Größe von 15 Hektar klappt, gilt auf der 1.000 Hektar großen Fläche der Ex-LPG noch lange nicht. „Wir wachsen an unseren Anforderungen“, macht sich der Biobauer Mut, für den es schon ein großer Erfolg ist, daß die Agrargenossenschaft nach vier Jahren noch steht. Aller Voraussicht nach schreibt der Betrieb in etwa zwei Jahren erstmals schwarze Zahlen. Bislang fängt das Minus ein 3,5-Millionen-Kredit auf, für den das Land Brandenburg gebürgt hat.

„Absoluter Knackpunkt“, aber sei die Vermarktung, so Krentz. Noch immer landet die biologisch erzeugte Milch der 350 Kühe für 52 Pfennig pro Liter im Tankwagen der regionalen Molkerei. Nur ein Bruchteil geht im hofeigenen Laden für über zwei Mark über die Theke.

Die Mitarbeiter der Agrargenossenschaft stöhnen über die hohen Preise. Trotz Rabatten können sie sich die Biosachen oft nicht leisten. Für ein Pfund Butter müssen die Kartoffelschälerinnen des Betriebes fast eine halbe Stunde arbeiten. Neun Mark gibt es pro Stunde. „Haben wir 'ne Wahl? Entweder machen wir das hier mit, oder wir landen beim Arbeitsamt“, giftet eine der fünf Schälfrauen.

Die Bioprodukte sind doppelt so teuer, bedauert auch Reiner Krause vom Ökodorf-Verein Brodowin. Für ihn sei es verständlich, daß „sich da viele ins Auto knallen und ins billige Kaufland rauschen“. Trotzdem ärgert er sich, daß viele Brodowiner „gerne mit Tempo 80 über die Dorfstraße rasen“.

Umweltbewußtsein findet sich in Brodowin nur in homöopathischen Dosen. So auch auf der Speisekarte der Gaststätte Lindenkrug direkt gegenüber der Kirche. Auf dem „Brodowiner Teller“ liegt ein Schnitzel mit Pommes, beides aus dem billigen Supermarkt. Nur im Nachtisch leistet sich die Wirtin den Luxus eines Öko-Eises: Gefrorenes mit Apfelmus und Müsli. Was sie vom Ökodorf halte? „Ehrlich, ich weiß nichts darüber“, gesteht sie im Vorbeirauschen. „Einfach keine Zeit.“