Fahrscheine für alle

Semestertickets sind nur dann billig, wenn alle Studierenden zahlen / Beschluß in Berlin steht noch aus  ■ Von Lars Klaaßen

Stau, dicke Luft, Parkplatzsuche auf der einen Seite – chronisch leere Kassen beim Öffentlichen Personennahverkehr auf der anderen Seite. Gegen dieses verkehrspolitische Armutszeugnis wird in immer mehr deutschen Universitätsstädten ein neues Rezept angewandt: Semtix, das Semesterticket für Studierende. Ob es auch in Berlin eingeführt wird, ist jedoch noch mehr als fraglich.

Das Prinzip von Semtix basiert auf der Überlegung, daß alle Studierenden einer Stadt automatisch als Dauerabonnenten des jeweiligen Verkehrsbetriebes verpflichtet werden. Das sichert dem öffentlichen Nahverkehr kontinuierlich hohe Einnahmen, so daß die Einzelpreise für das Ticket entsprechend niedrig sind. Neben den Studierenden aller Berliner Unis hätte daher auch die BVG ihren Vorteil bei dieser Regelung.

Es gibt zwei Modelle, die sich grundsätzlich unterscheiden. „In Darmstadt erhalten die Verkehrsbetriebe zweimal im Jahr einen ausgehandelten Betrag“, erläutert Gerhard Baumbach von der Hessischen Elektrizitäts Aktiengesellschaft (HEAG). „Diese derzeit 40 Mark werden bei der Rückmeldung als erhöhter Studierendenschaftsbeitrag von der verfaßten Studierendenschaft eingezogen.“ Im Gegenzug, so Baumbach, werde der Studierendenausweis als Fahrausweis anerkannt. Dieses Verfahren wird von der HEAG schon seit über zwei Jahren erfolgreich praktiziert.

Die Stadtwerke in Trier gingen andere Wege: Dort müssen zwar auch alle Studierenden einen Sockelbetrag – hier sind es 95 Mark – entrichten, doch wer Semtix tatsächlich nutzen will, muß nochmal 27 Mark drauflegen. „Für Studierende, die das Ticket nicht benutzen, ist diese Variante günstiger“, argumentiert Gerhard Eichner von den Trierer Stadtwerken, die seit über fünf Jahren mit Semtix arbeiten.

Denn gegen Semtix sind üblicherweise die Studierenden, die auf ihr Auto nicht verzichten möchten. In Hamburg, wo Semtix nun nach Darmstädter Vorbild starten soll, kam es sogar zum Prozeß: Ein Student stellte sich quer und klagte vor dem Verwaltungsgericht. Doch letztendlich bekam das Semesterticket grünes Licht. Die Studentenschaft habe die Beiträge ordnungsgemäß festgesetzt, und auch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei dabei gewahrt, urteilten die Hamburger Richter.

Semtix wird in Hamburg von etwa 60.000 Leuten bezogen und kostet 199 Mark, zuzüglich 10 Mark für einen Sozialfonds. „Dieser Fonds gewährleistet, daß Studierende in finanziellen Härtefällen nicht über Gebühr belastet werden“, erklärt Ursula Felten vom Hamburger Verkehrs-Verbund (HVV) die Einrichtung. „Die Vorgehensweise nach dem Darmstädter Modell verringert zudem den Verwaltungsaufwand.“

Dieses Konzept favorisiert Florian Böhm auch für Berlin. Das Vorstandsmitglied des Fachausschusses Verkehrskonzept und Semesterticket setzt sich gemeinsam mit anderen studentischen Vertretern für die Einführung von Semtix in Berlin ein. Der Fachausschuß der Technischen Universität Berlin agiert geschäftsführend für acht weitere Berliner Hochschulen und Fachhochschulen. Mit etwa 146.000 studierenden Semtix-Anwärtern wäre es das weitaus größte Semesterticket-Projekt in Deutschland.

Doch momentan kommen die Verhandlungen nicht so recht in Fluß: „Wir haben unseren Vertragsentwurf zwar schon weitgehend ausgearbeitet, jedoch noch keine konkrete Aussage der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) über preisliche Vorstellungen“, klagt Böhm. Semtix für etwa 100 Mark hält er zwar für wünschenswert, wo sich das Preisniveau im Endeffekt einpegeln wird, ist aber noch völlig unklar.

Dazu Wolfgang Göbel von der BVG: „Bis die konkreten Zahlen da sind, kann es noch ein wenig dauern, aber den Vertragsentwurf können sie ja gerne schon mal rüberreichen.“ Ansonsten, so Göbel, sei in erster Linie der Verkehrsverbund Berlin-Brandenburg (VBB) zuständig. Darin ist unter anderem auch die S-Bahn vertreten. Ob es bereits zum Jahreswechsel eine Urabstimmung der Berliner Studierenden zum Semesterticket gibt, wie sich Böhm erhofft, scheint sehr fraglich.

Wie wünschenswert Semtix vom umweltpolitischen Standpunkt ist, wird in Berlin auch noch diskutiert: „Wir wollen ein Zeichen setzen, damit die Studierenden weg vom Auto kommen“, argumentiert Böhm.

Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC) Berlin ist da ein wenig skeptisch: „Wir befürchten eine Verlagerung vom Fahrrad auf die weniger umweltfreundliche Bahn“, warnt Walter Moll. Semtix sei nur dann sinnvoll, betont er, wenn damit der Abbau von Parkplätzen und die gleichzeitige Installation von zusätzlichen Fahrradstellplätzen einhergehe.

Das Haupthindernis für die Verwirklichung von Semtix könnten letztendlich die desolaten Haushalte in Berlin und Brandenburg sein: Laut Beförderungsgesetz müssen solche Projekte nämlich öffentlich gefördert werden, um die Verkehrsbetriebe finanziell zu entlasten. Ob dafür Geld zur Verfügung gestellt wird, ist unklar.