Schulfrei im Wedding

■ Streik an Weddinger Schulen: Protest gegen Einsparungen im Bildungsbereich und gegen ein Landesschulamt

An den Weddinger Schulen wurde gestern der Aufstand geprobt: „Fast alle Schulen im Bezirk wurden bestreikt“, freute sich Angelika Schelens, Vorsitzende des Bezirkselternausschusses. „Die Aktion hat wirklich voll eingeschlagen.“

Unter dem Motto „Jetzt reicht's! Nicht nur der Staat ist pleite – wir auch!“ hatte der Weddinger Bezirkselternausschuß zum bezirkweiten Schulstreik aufgerufen. „Wir protestieren gegen die Sparmaßnahmen im Bildungsbereich, gegen ein zentrales Landesschulamt und für den Erhalt der Weddinger Kinderfarm“, sagte die Vorsitzende.

An die tausend Eltern und Schüler zogen gestern vor das Domizil des Volksbildungsstadtrates Werner Gotzmann (Bündnis 90/ Die Grünen) und übergaben ihm eine Resolution mit der Bitte, sie an Schulsenator Jürgen Klemann (CDU) weiterzureichen.

Durch die ständigen Kürzungen der Sachmittel leide die pädagogische Arbeit, klagten die Eltern. Lehrer müßten sich inzwischen entscheiden zwischen einem Klassensatz Atlanten oder Erdkundebüchern – beides zu kaufen gehe einfach nicht mehr, kritisierten die Elternvertreter.

Auch für Kleinmaterialien wie Klebestifte, Mal- und Zeichenpapier sowie Kopierpapier werde das Geld ständig gekürzt. So mußten die Eltern in diesem Schuljahr einen Teil der Schulbücher selbst kaufen. „Das läuft auf eine Aushöhlung der im Schulverfassungsgesetz garantierten Lehr- und Lernmittelfreiheit hinaus“, sagte Angelika Schelens.

„Ich kann aber nur bei den Lernmitteln sparen“, versuchte der Volksbildungsstadtrat die Finanzmisere zu erklären. „Feste Kosten wie Bewag und Müllabfuhr muß ich bezahlen.“ In diesem Jahr stünden über eine Million Mark weniger für Sachmittel zur Verfügung, die er auf die einzelnen Schulen verteilen kann.

„Vielen Eltern steht das Wasser bis zum Hals“, sagte eine Mutter. Man stehe langsam vor der Entscheidung: „Kaufe ich Kohlen und Winterstiefel für die Kinder oder einen Atlas für 80 Mark?“ Lehrermangel, Unterrichtsausfall, viel zu große Klassen: das gehe vor allem zu Lasten der Kinder, die mehr Zuwendung brauchten. „Bald hängt Bildung vom Einkommen der Eltern ab“, gab eine Mutter zu bedenken.

Außerdem würden durch die Errichtung eines zentralen Landesschulamtes die bezirklichen Gremien wie zum Beispiel der Bezirkselternausschuß bedeutungslos. Mitbestimmung, sich einmischen, werde faktisch außer Kraft gesetzt, kritisierte eine der Elternvertreterinnen.

„Von Bürgernähe kann hier dann wirklich nicht gesprochen werden, wenn Entscheidungen fern von Eltern, Schülern und Lehrern getroffen werden. Ganz abgesehen davon sei es noch überhaupt nicht klar, ob die Behörde tatsächlich Kosten spart. Michaela Eck