Noch keine Klärung

■ Im Kaindl-Prozeß sind Anträge auf Haftverschonung in Sicht / Schwierige Rekonstruktion des Tathergangs

Auch am fünften Verhandlungstag im Kaindl-Prozeß näherte man sich nur minimal der Rekonstruktion der Nacht zum 3. April 1992. Damals sollen die sieben Angeklagten laut Anklageschrift bei einem Angriff auf ein China-Restaurant in Neukölln den Schriftführer der Deutschen Liga für Volk und Heimat, Gerhard Kaindl, nach einem „gemeinsam verfaßten Plan“ ermordet haben. Diese Mordanklage steht auch nach dem gestrigen Prozeßtag auf wackligen Füßen. Bei zwei Angeklagten – der 22jährigen Fatma B. und dem 33jährigen Abidin E. – wird immer unklarer, ob sie an dem Angriff beteiligt waren.

Die fünf anderen wollen dabei gewesen sein. Von einer Kneipe am Lausitzer Platz seien sie spontan losgezogen, um dort ein Treffen von „Republikanern“, von dem sie zufällig gehört hätten, zu sprengen, gaben vier Angeklagte an. Unterwegs hätten sie den einzigen deutschen Angeklagten Carlo B. eingesammelt, weitere Leute mobilisiert und seien schließlich zu sechst losgefahren. Was dann passierte, liegt nach wie vor im dunkeln. Nachdem sie in das Restaurant gestürmt seien, sei alles sehr schnell gegangen, berichteten sie. Stühle seien geflogen, eine Frau habe hysterisch geschrien.

Seyho S. gab an, dem ehemaligen Berliner Landesvorsitzenden der „Republikaner“, Carsten Pagel, eine Ohrfeige gegeben zu haben. Bazdin Y. gestand, einen Baseballschläger geworfen zu haben. Carlo B. erklärte gestern, Tränengas gesprüht zu haben. Dann habe jemand „Raus, raus!“ gerufen und er sei losgerannt. Außer ihm will auch Seyho S. beim Wegrennen einen Knall gehört haben. Von einem Todesopfer wollen alle erst am folgenden Tag aus der Zeitung erfahren haben.

Tatsächlich sitzt der Hauptverdächtige für die Messerstiche überhaupt nicht im Gerichtssaal, weil er nicht gefaßt werden konnte. Völlig unklar ist auch noch, wie viele andere Leute bei der Aktion dabei waren. Für die beiden Angeklagten Fatma B. und Abidin E. werden nach vorsichtigen Auskünften der Verteidiger vermutlich an einem der kommenden Prozeßtage Anträge auf Haftverschonung gestellt.

Aufmerksam verfolgt wird das Prozeßgeschehen trotz der erschwerten Bedingungen immer noch von zahlreichen Antifaschisten. Morgens um sieben werden bereits die Nummern für die 65 Sitzplätze im Saal verteilt – anschließend folgen umfangreiche Leibesvisitationen. Jeannette Goddar