Die wollen nur ihren Führerschein zurück

■ Die Psychologin Christina Jänisch versucht bei der Berliner „Gesellschaft für sicheres Fahren“ aggressives Verhalten im Straßenverkehr zu therapieren

taz: Frau Jänisch, wie reagieren Verkehrsteilnehmer, die wegen aggressiven Verhaltens erwischt worden sind?

Jänisch: Es gibt Leute, denen es wirklich leid tut, die erschrocken sind über sich selbst. Die hätten nicht gedacht, daß sie so ausflippen könnten. Das sind die lieben netten Familienväter, die dann ausrasten. Dann gibt es aber auch die andere Kategorie, die sich keinerlei Schuld bewußt ist, Leute, die das Ganze als eine einzige Provokation durch den anderen darstellen: Natürlich war's nicht richtig, daß man dann zugeschlagen hat oder jemanden anders beleidigt hat, aber letztendlich blieb einem in der Situation keine andere Wahl.

Gibt es bei Auseinandersetzungen im Straßenverkehr eine klassische Situation, die sich wiederholt?

Das Typische ist das gegenseitige Sichaufschaukeln. Das fängt damit an, daß einer zu dicht vor dem anderen eingeschert ist, daraufhin versucht der andere zu überholen und bremst den anderen aus, dann stehen beide gemeinsam an der Ampel, dann kommt erst das berühmte Handzeichen, der Stinkefinger, an der nächsten Ampel kommt es dann zum Wortwechsel, und an der dritten steigt dann einer aus und haut auf das Auto oder sonstwohin. Was wir auch beobachten, ist, daß es vielfach zu aggressiven Handlungen in der unmittelbaren Wohnumgebung kommt.

Wie erklärt sich das?

Eine mögliche Erklärung könnte sein, daß es so etwas wie Verteidigung der eigenen Heimat ist. Der Gegner ist in der Regel anonym, aber die Gegend muß man verteidigen. Da tritt dann der Mann auf den Plan und zeigt, daß das bei ihm zu Hause nicht geht.

Warum rasten auch „brave Familienväter“ aus?

Das hängt mit der Bedeutung des Autos zusammen. Gerade für die braven Familienväter hat das Auto einen hohen ideellen Wert, und wenn das Auto bedroht ist, ist immer auch ein Teil der Identität bedroht. Der zweite Punkt ist die Anonymität des Gegners. Den kennt man nicht und legt sich dann im eigenen Kopf ganz irrationale Gedanken zurecht: der da vorne fährt so langsam, um mir persönlich zu schaden. Das Ganze wird als persönlicher Affront gewertet.

Aber warum rasten fast immer nur die Männer aus?

Frauen haben ein anderes Verhältnis zum Auto, denen ist das in der Regel ein Gefährt, mit dem sie von einem Ort zum nächsten kommen wollen. Das soll auch ganz nett aussehen, aber es ist nicht die Verlängerung der Person. Wenn es dann angegriffen wird, reagieren die Frauen anders. Darüber hinaus weiß man, daß Frauen ihre Aggressivität anders äußern. Frauen achten eher auf strenge Regeleinhaltung und fressen Aggressionen auch eher in sich hinein. Männer suchen eher den Kampf und die Konkurrenz.

Gibt es bestimmte Tätertypen?

Aus unserer Praxis sind es vor allem Männer zwischen 35 und 45, oftmals beruflich sehr erfolgreich. Die praktizieren dann ein ähnliches Durchsetzungsverhalten auch im Verkehr. Bei den ganz jungen Fahrern sind es die, die keine andere Form finden, als ihre Aggressivität im Straßenverkehr auszuleben.

Was fangen Sie mit solchen Leuten in der Verkehrstherapie an?

Prinzipiell müssen diese Leute erst einmal eine Form von Einsicht zeigen, das heißt den berühmten Leidensdruck mitbringen. Wenn sich jemand unberührt zeigt von dem Ereignis, kann man mit ihm nicht arbeiten. Wenn er ein Interesse hat, daran therapeutisch zu arbeiten, gehen wir zunächst die einzelnen Delikte genau durch, und darin lassen sich oftmals schon bestimmte Muster zeigen. Zum Beispiel, wieso war man gerade in der Situation so aggressiv, was ist dem vorausgegangen, wie kann derjenige anders mit Aggressivität umgehen, wie kann er sie sonst loswerden oder vermeiden, daß sie überhaupt entsteht. Man kann das in Form von Rollenspielen üben: Wie kann man seinem Chef gegenüber selbstbewußter auftreten, damit man nicht mit 'ner Wut im Bauch rausrennt und an der nächsten Ampel seinen Vordermann anpöbelt. Wir machen auch Selbstbeobachtungsaufgaben: wie geht es mir, wenn ich genau 50 fahre und alle an mir vorbeirauschen, wie lange halte ich das aus, und wann kommt dann Wut auf.

Und Sie meinen, das hilft?

Wenn die Eingangsdiagnostik gut ist und wenn wir mit den Leuten zusammenarbeiten können, dann sehe ich gute Chancen. Aber solche Verhaltensweisen haben sich über lange Jahre eingeschliffen und lassen sich nicht von heute auf morgen verändern. Aber der Leidensdruck ist bei den meisten sehr gering. Die meisten kommen nur, weil sie ihren Führerschein zurückhaben wollen. Interview: Vera Gaserow