Kämpfen und Wählen in Marzahn

■ Sechs Marzahner Bundestags-Direktkandidaten empfehlen sich den örtlichen Arbeitslosen

Da sage einer, die PDS schere sich nicht um die Einheit, helfe nicht beim gegenseitigen Kennenlernen. Wer konnte bislang im Westen etwas anfangen mit Namenskombinationen wie Lichtenberg/ Friedrichshain, Prenzlauer Berg/ Mitte, Hellersdorf/Marzahn. Genau. Sechs Ostberliner Bezirke, zusammengefaßt zu drei Bundestagswahlkreisen. Die drei Wahlkreise. Dort will die PDS am 16. Oktober alles klarmachen. Gewinnen hier ihre Matadore Christa Luft, Stefan Heym und Gregor Gysi, braucht sich die Partei um die Fünfprozenthürde nicht mehr zu kümmern.

Gysi hat schon gewonnen. 1990 holte er in Hellersdorf/Marzahn das einzige Direktmandat für die PDS. Auch für den 16.10. ist Gysi fest gebucht. In allen Umfragen liegt er weit vor seiner SPD-Konkurrentin, Angelika Barbe. Gysi läßt sich immer mal wieder vor Ort ankündigen, kommt aber dann doch eher selten vorbei. Das Zugpferd mit den angekratzten Stimmbändern wird andernorts gebraucht. Am Dienstag abend kam er, zusammen mit seinen fünf KonkurrentInnen, ins Arbeitslosenzentrum Marzahn. Gysi ist Ehrenmitglied im Arbeitslosenverband, Angelika Barbe auch.

Im Saal sitzen die echten Mitglieder. Ein diszipliniertes Publikum, das viel erträgt, ohne Murren. Keine Polarisierung. Auch auf dem Podium nicht. Alle haben die Arbeitslosigkeit als Problem erkannt. Das verbindet. Nur die Konzepte, von vorne, und die eher lethargische Stimmung, von hinten, finden an diesem Abend nicht recht zusammen. Andrea Fischer, die bündnisgrüne Kandidatin aus dem Westen, die in „ihrem“ Wahlkreis kämpft, als könnte sie die dreißig Prozent, die zwischen ihr und Gysi liegen, noch aufholen, plädiert für ökologischen Umbau, Arbeitszeitverkürzung, Beschäftigungsförderung. Gysi stimmt ganz und gar zu und ergänzt: „Entprivilegierung des Finanzkapitals“. Da könnte auch für die Marzahner Arbeitslosen was rumkommen. Oder? Zu abstrakt? – Als Meister der Konkretion erweist sich Horst Gibtner, der Kandidat der CDU, letzter DDR-Verkehrsminister. Seine Empfehlung: Mobilität. Wenn er, der Bundestagsabgeordnete, hätte warten wollen, bis das Parlament nach Berlin kommt, wäre er jetzt vielleicht auch auf Jobsuche. „Karriere machen kann man nicht überall.“ Angelika Barbe agiert einfühlsamer. Sie rechnet vor, wie man in vier Jahren die Arbeitslosigkeit halbieren könnte. Wie Andrea Fischer weist sie auf die hohe Frauenarbeitslosigkeit hin. Das ist der Einsatz für Heinrich Wiemann, Honigweinproduzent, freier Unternehmer, eine Art Graswurzel-FDPler, der tapfer gegen das Image ankämpft, er vertrete hier die Interessen der Besserverdienenden. Nein, „nicht jeden Beschluß, den die in Bonn raushauen“, findet Wiemann akzeptabel. Nicht akzeptabel allerdings findet Wiemann auch, daß rackernde Männer gegen zu Hause bleibende Frauen ausgespielt werden. „Wer sich im Job kaputt macht, hat nicht nur Vorteile.“ Im Gegenteil. „Viele erreichen die Rente gar nicht.“

Einer hat die Rente doch erreicht: Günter Pflanz ist 72. Er kandidiert hier als Grauer Panther. Was ist, wenn im Jahr 2025 die Hälfte der Marzahner über sechzig sein werden, fragt Pflanz düster in den Saal. Bis dahin jedenfalls muß die „Ressource“ Jugend materiell sichergestellt werden. Schließlich, „der Staatshaushalt ist immens groß“.

Kann er nicht größer werden? – Frage aus dem Publikum an alle: „Wie stehen Sie zum Kapital? Wie wollen Sie an das Geld ran?“ Andrea Fischer verspricht: „Wir wollen von den Leuten unglaublich viel Geld.“ Selbst Gibtner weiß: „Die Abschöpfung des Geldes muß gemacht werden“, wenn auch „mit Verstand“. Und Gysi entprivilegiert noch einmal das Finanzkapital.

Die ersten Unterprivilegierten verlassen den Saal. Sie verpassen, daß Gysi auch dem „Milliardärssohn“ die staatliche Grundsicherung verspricht. Da protestieren die Dagebliebenen. eis