Havanna von hinten

Die kubanische Filmkomödie „Erdbeer und Schokolade“, nun auch hier im Kino, hat das uralte Motiv „Homo-Tucke verliebt sich in Hetero-Macho“ amüsant recycelt. Auf Kuba machte der Film heftig Furore  ■ Von Micha Schulze

Manchen Premieren haftet ein besonderes Schicksal an: Am Tag, als Heiner Carows „Coming out“ im Ostberliner Kino „International“ zum ersten Mal auf die Leinwand kam, fiel die Mauer und läutete das Ende des realen Sozialismus ein. Kubas allererstem Schwulenfilm war dieser Erfolg nicht vergönnt: „Erdbeer und Schokolade“ läuft in Havanna schon seit über einem Jahr, und Fidel Castro sitzt noch immer fest auf seinem Thron.

Dabei sind Tomás Gutiérrez Alea, einer der einflußreichsten kubanischen Filmemacher, und sein Co-Regisseur Juan Carlos Tabio ihr Projekt nicht anders angegangen als Heiner Carow damals in der DDR. „Erdbeer und Schokolade“ zeichnet ein Bild des kubanischen Alltags mit einer fürs westliche Auge erstaunlichen Mischung aus Offenheit und Kritik. Mit Ironie nimmt die Komödie die Tücken des Systems aufs Korn, ohne ins Destruktive zu verfallen.

Die Story selbst hätte im realen kubanischen Leben ganz schön ins Auge gehen können. Da baggert der feminine Schwule Diego (Jorge Perugorria) auf recht dreiste Art den hübschen Studenten David (Vladimir Cruz) in einem Café bei einem Eisbecher Erdbeer und Schokolade an. Zwei Welten treffen aufeinander, die süße und die herbe, die leuchtende und die fahle. „Ich liebe Erdbeer. Das einzig Gute, was sie hier machen“, sagt Diego, der systemkritische Künstler und tuckige Literaturfreund, „jetzt werden sie es exportieren, und für uns bleibt nur wieder Zuckerwasser.“ Ganz erschrocken guckt da der systemkonforme Student David und setzt an zum Protest.

Das Motiv „Homo-Tucke verliebt sich in Hetero-Macho“ ist so uralt wie ausgelutscht, doch in „Erdbeer und Schokolade“ ist es auf liebevolle Weise recycelt worden und nimmt einen überaus vergnüglichen Lauf. Mit einem Trick lockt Diego den unerfahrenen Jungen in seine Wohnung, versucht ihn mit Vargas Llosa, Kunst und Camp zu betören, bis er ihm schließlich Kaffee übers Hemd gießt, damit er bleibt und seinen Oberkörper entblößt. Nicht als Aneinanderreihung billiger Slapsticks kommt dieser Verführungsversuch daher, sondern mit Ruhe, Geist und Melancholie. Der Humor lauert in den Untertönen.

Ins Bett bekommt Diego den schönen David natürlich nicht. Schwules Glück auf Zelluloid hätte weder unbeschadet die Scheren der Zensoren passiert noch die Intention der Regisseure getroffend. „Erdbeer und Schokolade“ ist inszeniert wie eine klassische Brechtsche Lehrparabel gegen Vorurteile, an dessen Ende eine tiefe Freundschaft und eine symbolträchtige Umarmung des ungleichen Männerpaares steht. Mehr ist, körperlich gesehen, nicht drin. Aber David hat begriffen, daß schwule Männer kein Fall für den Doktor sind: „Du bist so schön! Das einzige Problem ist, daß du nicht schwul bist“, flüstert ihm Diego in der vorletzten Szene zu. David kontert mit dem Schlußsatz aus Billy Wilders „Some like it hot!“: „Niemand ist perfekt.“

Die Stärke der Komödie, die letztes Jahr alle acht Preise der Filmfestspiele in Havanna und auf der diesjährigen Berlinale den Silbernen Bären, den Spezialpreis der Jury sowie den Gay Teddy Bear Award einheimsen konnte, liegt in den kleinen, spitzen Bemerkungen am Rande, für die man ein gutes Gehör und gute Augen braucht. Mit nur sekundenkurzen Einstellungen werden da die größten Helden der Revolution als arme Würstchen entlarvt. Wie etwa Miguel, Davids hundertprozentiger Kommilitone, der in Diego einen Staatsfeind sieht und pausenlos gegen Schwule hetzt. Einmal folgt Miguels Tiraden ein kurzer Kamerablick auf seinen Spiegel mit dem angehefteten Foto von James Dean...

Warum das Homomagazin magnus „Erdbeer und Schokolade“ allerdings gleich zur „besten schwulen Filmkomödie des Jahren“ kürte, bleibt ein Geheimnis der sonst so emanzipatorischen Redaktion. So gutgemeint der Streifen ist, der Schwule Diego bleibt darin nur Objekt des Geschehens und homosexueller Alltag schwammig an der Oberfläche. Statt schwuler Erotik gibt's Heteropärchen in Aktion, statt Diego darf sich Nachbarin Nancy (Mirta Ibarra) mit David vergnügen. Nichts spiegelt sich wider von den Erfahrungen eines Reinaldo Arenas, der in seiner Autobiographie eindrucksvoll schilderte, wie einfach es in Kuba für Schwule ist, einerseits in den Knast zu kommen und andererseits sich zwölfmal am Tag durchficken zu lassen. Ein Coming-out-Film ist „Erdbeer und Schokolade“ nicht geworden. Um Fidel Castro – frei nach der „Heiner-Carow-Methode“ – zu stürzen, braucht es wohl einen zweiten kubanischen Schwulenfilm.

Regie: Alea/ Tabio, Mit: Jorge Perrugoria, Vladimir Cruz; Kuba