Der Wahlsieger läßt rätseln

Die ersten Parlamentswahlen in der Slowakei haben ein überraschend gutes Ergebnis für Ex-Premier Mečiar gebracht – und ungünstige Stimmverhältnisse für jeden, der jetzt eine Regierung bilden will  ■ Von Sabine Herre

Berlin (taz) – Der Wahlsieger schweigt. Auch am zweiten Tag nach den ersten Parlamentswahlen war von Vladímir Mečiar kein Wort zu hören. Mit 35 Prozent hat seine „Bewegung für eine demokratische Slowakei“ (HZDS) die Parteien der Regierungskoalition um mehr als fünf Punkte hinter sich gelassen – wie er sich aber eine künftige Regierung vorstellt, dazu sagt der Ex-Premier nichts. Und selbst Mečiars Sprachrohr, die Tageszeitung Slovenská Republika, wußte nur, daß er am Sonntag einen Zusammenstoß mit einem deutschen Reisebus hatte. Passiert ist dem starken Mann der Slowakei dabei nichts.

Der Rückzug Vladímir Mečiars ist typisch für seine Form der Selbstinszenierung. Zweimal haben ihn die SlowakInnen in den vergangenen fünf Jahren vom Thron gestoßen, zweimal haben sie ihn wiedergewählt. Bevor er das Volk mit seiner Gunst erfreut, läßt er sich Zeit. Während der Chef der ex-kommunistischen „Partei der Demokratischen Linken“ (SDL), Peter Weiß, bemüht ist, sich trotz einer vernichtenden Wahlniederlage als erneuten Regierungspartner ins Gespräch zu bringen, kann Mečiar warten.

Seitdem das Parlament ihn im März dieses Jahres durch ein Mißtrauensvotum gestürzt und eine Koalition aus Christdemokraten, HZDS-Abweichlern und SDL die Regierung übernommen hatte, ist die Slowakei politisch gespalten. Alle Meinungsumfragen zeigten, daß Anhänger und Gegner Mečiars über ein Wählerpotential von 30 bis 40 Prozent verfügen. Zünglein an der slowakischen Waage, so die Prognosen, würde daher ausgerechnet das Wahlbündnis der drei Parteien der ungarischen Minderheit des Landes sein.

Diese Einschätzung war nicht falsch. Zwar hat Mečiar gegenüber den letzen Parlamentswahlen von 1992 noch einmal um zwei Prozent hinzugewonnen, gleichzeitig verringerte sich jedoch der Stimmanteil seines ehemaligen Koalitionspartners, der „Slowakischen Nationalpartei“ SNS, von 9,3 auf 5,4 Prozent.

Nicht gerechnet hatte man jedoch damit, daß sich der Stimmenanteil der SDL trotz eines Wahlbündnisses mit Grünen, Sozialdemokraten und Bauernbewegung gegenüber 1992 um rund vier Prozent verringern würde. Zwar bleibt die SDL mit 10,4 Prozent zweitstärkste Partei des Landes, doch der Abstand zu den anderen Parteien ist nun so gering, daß sie ihre Rolle als Sprecherin der Mečiar- Kritiker einbüßen dürfte. Das ungarische Wahlbündnis erreichte 10,2 Prozent, die Christdemokraten 10,1, die „Demokratische Union“ von Premier Jozef Moravčík 8,6 Prozent.

Verloren hat die SDL jedoch vor allem an das neugegründete „Bündnis der Arbeiter“. Die links- populistische Organisation, die „Preissenkungen“ und „Arbeit für alle“ auf ihre Fahnen geschrieben hat, wird von dem SDL-Abtrünnigen Jan Lupták geführt. Er übernimmt nun die Rolle, die eigentlich dem ungarischen Bündnis zugedacht war.

Einen Ausweg aus dem Wahlpatt kennt in Bratislava bisher niemand. Heute will Staatspräsident Michal Kováč Verhandlungen mit den Vorsitzenden aller im Parlament vertretenen Parteien führen. Da der Präsident jedoch maßgeblich zum Sturz Mečiars beitrug und die slowakische Verfassung auch nicht vorschreibt, daß der Wahlsieger mit der Regierungsbildung beauftragt werden muß, ist Mečiars Rückkehr an die Macht keineswegs gesichert.