Die Kleider auf dem Leib herumgedreht

■ Die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken über Geschlechterrollen, Haute Couture, "Fashion Victims", die Ironie der Vergänglichkeit und die Mode nach der Mode

Barbara Vinken, Jahrgang 1960, arbeitet als Literaturwissenschaftlerin an der New York University. Sie ist Herausgeberin des Bandes „Dekonstruktiver Feminismus. Literaturwissenschaft in Amerika“, der bekannte Texte der amerikanischen Gender Studies in Deutschland zugänglich macht. In ihrem letzten Buch „Mode nach der Mode. Geist und Kleid am Ende des 20. Jahrhunderts“ erscheint die Mode am Ende des 20. Jahrhunderts als das, was die Kunst hätte sein sollen: In ihr kommt der Zeitgeist zur Darstellung. Vinken untersucht die Struktur der neuen Mode, die mit Schönheitsidealen und Geschlechterrollen ironisch spielt.

taz: Wie kommen Sie als Literaturwissenschaftlerin dazu, sich mit Mode zu beschäftigen?

Barbara Vinken: Etymologisch geht es bei Gewebe und Text um dasgleiche. Aber vor allem wollte ich ein Thema, das von der Soziologie beherrscht wird, der Ästhetik zurückerobern. Das kommt einem Trend entgegen, denn die Literaturwissenschaften sind dabei, sich als Kulturwissenschaften neu zu bestimmen. Und wenn Sie hier in New York am Washington Square aus dem Fenster schauen, flaniert die ganze Welt an ihnen vorbei. Das theatrum mundi vor der Tür hat mich dazu verführt, dieses Spektakel analysieren zu wollen.

Die Mode und die Straße: Gestern gab es eine Bürgersteig-Modenschau von Kim Gordion, der Sängerin von Sonic Youth. Auf der einen Seite stand das Supermodel Linda Evangelista, auf der anderen sah man den Concept Künstler Dan Graham im Gewühl der Szene und Touristen.

Mode und Kunst treffen sich auf der Straße, das finde ich eine hübsche Allegorie. Ja, Modenschauen finden jetzt auf der Straße statt oder wie bei Martin Margiela in dreckigen U-Bahnhöfen, im Pariser Stadtteil Belleville, in armen Zuwanderervierteln. Das halte ich übrigens nicht nur für Snobismus. Ich finde es interessant, wenn sich das neue ästhetische Ideal einer Konsum- und Wegwerfgesellschaft wie dieser in Kleidern spiegelt, die aus Fetzen, abgenutzten Stoffen oder löchrigen Strümpfen gemacht sind. Daß das heutige Modeideal die Stadtstreicherin oder der Punk ist – Leute, die buchstäblich auf der Straße leben – und damit das von der Gesellschaft Verdrängte und Marginalisierte in die Mode eindringt, scheint mir nicht nur zynisch.

Waren es nicht zwei Frauen, Vivienne Westwood in ihrer Punk- Zeit und Rei Kawakubo von Comme des Garçons, die die Straße als ästhetische Ressource entdeckten?

Das ist schwer zu sagen. Die Straße lag, wie man so schön sagt, wahrscheinlich in der Luft. Die neue Radikalität hängt eher mit der Courage zusammen, auch auf das Ausgestoßene, das Häßliche zu schauen: darauf, was Julia Kristeva das Abjekte genannt hat. Davor keine Angst zu haben, das hat mit dem Weiblichen zu tun. Die Aggression gegen die Frau als reines Idol, besonders bei Comme des Garçons, ist ebensowenig ein Zufall wie der Mut zum Grotesken, zur Armut, zum Abgefetztsein. Vivienne Westwood hat die Frau eher wieder fetischartig collagiert. Vielleicht liegt darin eine spezifisch weibliche Ironie, daß der Fetisch, der ja Zerstückelung oder Kastration abwehren soll, hier selber kein Ganzes, sondern zusammengesetzt ist.

Heißt über Mode zu sprechen, über Frauen zu sprechen?

Ich wollte in meinem Buch eigentlich nicht über Frauen sprechen, sondern habe versucht, über die Differenz der Geschlechter zu reden. Es geht darum, wie sich die Geschlechter in der Mode interpretieren und wie dabei gerade Kategorien wie Frau oder Mann nicht mehr als natürlich, sondern als etwas Künstliches anbetrachtet werden. Ich finde, daß beide Geschlechter die Möglichkeit haben, mit der Mode Politik zu machen und die Opposition von Sein und Schein, von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit zu zersetzen.

Aber in der Soziologie gilt Mode als vornehmlich weibliche Angelegenheit.

Das ist ausgesprochen kurzsichtig; denn dadurch wird vorausgesetzt, was eigentlich analysiert werden soll. Historisch gesehen hatten die Männer in der bürgerlichen Gesellschaft ein Modeverbot. Die Frauen wurden zur bloßen Verkörperung des schönen Scheins, während die Männer ihre Gleichheit im grauen Tuch darstellten. Modisch exponieren konnten sie sich jedenfalls nicht, ohne sofort in den Geruch des Weibischen zu geraten. Das ist Gott sei Dank vorbei. Die Männer haben sich die Mode zurückerobert. Denken Sie an Gaultier und an seine ostentative Zurschaustellung des männlichen Geschlechts und seiner Erotik.

Ist der Dandy wiedergekehrt?

Der Dandy ist in einer merkwürdigen Metamorphose wiedergekehrt, in einer stärker homo- oder bisexuellen Form. Er, als Angehöriger des Bürgertums, protestierte mit den Mitteln adliger und weiblicher Rhetorik gegen die Gleichmacherei und die Auslöschung des Körpers im männlich-bürgerlichen Kollektiv. Die Frage nach der Klasse hat sich heute stärker auf die Frage nach dem Geschlecht hin verschoben. Die Mode lehnt sich vor allem gegen den Zwang zur Heterosexualität auf. Die moderne Form des Dandys ist vielleicht der Transvestit, der unumstrittene Star der jetzigen Modeszene.

Ist es da bedeutsam, daß sich Gaultier als Kleinbürger stilisiert?

Gaultier wendet seine ostentative, gänzlich unelegante Kleinbürgerlichkeit subversiv gegen den Glamour der Mode, gegen das den Ton angebende, selbstgerechte Establishment. Gleichzeitig zersetzt er aber auch die Struktur des Kleinbürgerlichen, den Kleinfamilienterror mit seiner rigiden, heterosexuellen Geschlechtsrollendefinition. Das Kleinbürgerliche paktiert bei ihm nicht mehr mit dem repressiven Vater und der autoritären Schule, sondern mit der Großmutter, die Damenfriseuse ist.

Sie sagen, die Mode der modernen Frau am Beginn des 20. Jahrhunderts sei die Übernahme der Mode des Dandys. Gehört damit nicht einmal die Mode der Frau?

Bei der Mode geht es Gott sei Dank nicht um Besitz, sondern um einen Prozeß des Enteignens und Aneignens. Gerade die Figur des Dandys repräsentiert diesen doppelten Prozeß. Aus der adligen Kultur rettet er das Interesse am Schönen und Äußerlichen herüber, aber das steht schon im Zeichen des Weiblichen. Als Chanel hinging und die Dandymode wieder zur Frauenmode machte, gab sie ihr wieder etwas zurück, das sich zuvor der Dandy angeeignet hatte, nämlich die weibliche Lust am Schein.

Trotzdem scheint mir, daß es die Frau als kulturelles Geschlecht Forsetzung nächste Seite

Fortsetzung

immer weniger gibt. Der Prozeß läuft auf eine Anpassung an männliche (Bekleidungs-)Muster hinaus. Sieht man sich die ausladenden Krinolinenkleider an, den enormen Platz, den sie den Frauen einmal im öffentlichen Raum verschafften, dann ist die Frau heute dagegen eine erstaunlich schmale, unauffällige Erscheinung.

„Die Frau“ ist vor allen Dingen schneller, beweglicher, wendiger geworden. Der Begriff des Praktischen scheint mir dabei für das, was passiert, ganz verfehlt. Der Exhibitionismus, dem sich die Krinoline verdankt, hat sich verschoben. Denken Sie nur an die schimmernde Durchsichtigkeit der lose wehenden Schleier. Die vor allem von der Sportmode beeinflußte körpernähere Mode wirkt nur natürlicher, ist aber höchst künstlich. Das äußere Körpergerüst muß heute durch ein trainiertes Muskelgerüst ersetzt werden. Der Körper muß absolut durchtrainiert sein, dazu bedarf es strenger Selbstdisziplin. Das ist ein hoher Grad an Künstlichkeit, der mindestens so aufwendig ist, wie die Krinoline.

Aber ist dieses „innere“ Gerüst nicht eine männliche, eine athletische Angelegenheit?

Vielleicht, aber die Frauen haben auch schon in Sparta geturnt. Yamamoto hat dieses „innere“ Gerüst nach außen gedreht, in einer Art Ritterrüstung, genauso wie auch Gaultier die perfekten weiblichen Formen nach außen drehte. Das Kunigundeartig der Frau wurde in Form von Busen- und Popolstern außen am Körper getragen. Die Mode, die ich interessant finde, kehrt die ganzen Apparate, die dazu benutzt werden, den Körper perfekter zu gestalten, nach außen und reflektiert sie. Die Notwendigkeit des inneren Gerüsts wird in jedem Fall ironisiert.

Sie sprechen von einer Mode nach der Mode. Warum nicht mehr von Anti-Mode im Sinne einer modernen Avantgarde?

Ich würde sagen, die Mode nach der Mode unterscheidet sich von der Avantgarde erst einmal dadurch, daß sich die Avantgarde als eine Bewegung definierte, die mit einer Tabula rasa begann, also ganz neu startet. Die Mode nach der Mode ist dagegen nicht nur gegen etwas gerichtet. Sie knüpft vielmehr an bekannte Strategien der Haute Couture an und besetzt sie um. Sie dreht den Leuten das Wort im Mund und die Kleider auf dem Körper um.

Damit scheint Comme des Garçons in dieser Saison ernst machen zu wollen. Man hat das Gefühl, mit dem Futter eines alten Kleids modisch absolut auf der Höhe zu sein. Richtet sich das gegen die Haute Couture?

Das Verhältnis der Mode nach der Mode zur Haute Couture ist nicht nur freundlich. Daß man am Kleid sein Verfertigungsprinzip sieht, daß die Nähte nach außen gedreht und die Säume nicht mehr richtig versäubert sind – das alles ist gegen das Perfektheitsideal der Haute Couture gerichtet. Dort ist im Augenblick der perfekten Erscheinung die Zeit und damit der Arbeitsprozeß ausgelöscht. Diesen Prozeß des Sichtbarmachens der Arbeit war die Idee, die Comme des Garçons durchsetzte. Die Sichtbarkeit des Unperfekten bekam darüber hinaus eine ästhetische, dekorative Funktion.

Eine Art Ruinenkult in der Kleidung?

Ja. Im übrigen haben diese Kleider etwas sehr bezauberndes, trotz oder gerade wegen ihrer Unvollendetheit. Gerade in diesen Kleidern ist die Schnittechnik wirklich hinreißend.

Geht es um die Schönheit der Vergänglichkeit?

Eher um die Ironie der Vergänglichkeit. Die Zeit wird ästhetisch, sie wird sichtbar im Abtragen der Kleider. Heute habe ich bei Barneys gesehen, daß Margiela, der seine Kleider bekanntlich nicht signiert, jetzt ein falsches Datum in seine Kollektion näht. Er gibt vor, daß die Kollektion des Sommers '94 aus dem Frühling/Sommer '91/92 stammt – der absolute Ausverkauf sozusagen. Die Mode selbst ironisiert ihre Krankheit der Label und die Krankheit ihres Verfallsdatums. Ich finde das als selbstreflexives Phänomen sehr interessant.

Kann man sich eigentlich noch situationsentsprechend gut kleiden und modisch zugleich?

Nein, natürlich nicht. Denn eine gewisse Transgression, die Überschreitung des herkömmlichen Erwartungshorizonts, gehört absolut zur modischen Kleidung. Man ist heute nicht mehr in einem emphatischen Sinne modisch gekleidet, wenn man die neueste Creation von Givenchy kauft. Es geht nicht mehr nur um Kleider. Mode zeigt Kunstcharakter, ein Sich-selbst- zur-Disposition-stellen. Sie verlangt den Mut, sich der Lächerlichkeit auszusetzen – natürlich nicht blind, sondern kalkuliert.

Und die Frage nach Eleganz?

Das ist die Frage, ob Mode überhaupt noch elegant ist. Ich würde sagen, die Mode ist ein Grenzfall der Eleganz geworden.

Gibt es so etwas wie ein Fashion Victim?

Doch, das gibt es. Absolute Fashion Victims sind die Leute, die immer auf der sicheren Seite sein wollen. Sie kaufen die angesagten zehn Marken, weil sie ihren Trägern unübersehbar Prestige sichern sollen und sehen alle aus wie Abziehbilder. Manche der Designer, die die Fashion Victims hervorragend anziehen, Karl Lagerfeld für Chanel beispielsweise, spielen mit dem Syndrom. Chanel etwa imitiert die Imitationen von Chanel, Nachahmung der Nachahmung, in deren Zentrum die beiden ineinanderverschlungenen Cs stehen. Dabei wird deutlich, daß es nur noch darum geht, ein Label an den Mann oder die Frau zu bringen; aber dieses Spiel wird ganz offen gespielt und ironisiert. Wer das naiv tut, der hat das Spiel leider nicht verstanden – und ist ein Fashion Victim.

Interview: Brigitte Werneburg