■ Clinton und die Aufhebung des Waffenembargos
: Bloß kein Risiko

Nun sind die USA in der Frage der Aufhebung des Waffenembargos gegenüber Bosnien-Herzegowina doch von ihrem vorher als „unumstößlich“ charakterisierten Kurs abgewichen. Die Gründe hierfür liegen wohl nicht nur darin, daß Rußland als Schutzmacht der Serben desavouiert worden wäre. Auch die Europäer scheuen schon lange die Risiken, die mit einer Aufhebung des Waffenembargos verbunden wären. Sieht man einmal von den widerstreitenden Interessen und Parteinahmen einzelner europäischer Staaten für die serbischen Nationalisten ab, so könnte in der Tat die Sorge um das Schicksal der rund 800.000 eingeschlossenen Menschen in den Enklaven Bihać, Srebrenica, Zepa, Goražde und Sarajevo Grund genug sein, die mit der Aufhebung des Embargos verbundenen verstärkten Kämpfe zu vermeiden.

Daß das schlichte physische Überleben der Bevölkerung zum Druckmittel gegenüber der bosnischen Regierung gebraucht wird, gehört nun schon zu den Ritualen in diesem Krieg – vorigen Herbst war dies ähnlich. Nachdem die UNO in der Frage der Gas-, Strom- und Wasserversorgung von Sarajevo versagt hat, braucht der Kommandierende der serbischen Nationalistentruppen, Ratko Mladić, nur mit „Maßnahmen“ gegen die UNO-Truppen zu drohen, und schon ist die Versorgung mit Lebensmitteln für die Enklaven und Sarajevo lahmgelegt. Dabei wäre es der Auftrag gerade dieser Truppen, die Versorgungskonvois vor Übergriffen zu sichern. Die gleichzeitige lasche Kontrolle des angeblichen serbischen Embargos an der bosnisch-serbischen Grenze und der schon im Frühjahr zu beobachtende Rückzug mancher Hilfsorganisationen aus Bosnien fügt sich ins Bild: die internationalen Organisationen scheuen jegliches Risiko.

Wenn nun auch noch die letzte Hoffnung für die Bosniaken, die US-amerikanische Regierung, von ihrer bisher festeren Haltung abweicht, muß sich auch Alija Izetbegović nach der Decke strecken. Daß dabei die multikulturell ausgerichtete, auf ein wiedervereintes Bosnien zielende Politik des Ministerpräsidenten Haris Silajdžić erschüttert wird, liegt im Interesse aller jener, die nur in einer Aufteilung Bosnien-Herzegowinas entlang religiös-nationalistischer Linien ein Ende des Krieges sehen können. Gewollt oder ungewollt wird so der nationalistische Flügel der Muslimpartei SDA gestärkt. Denn dieser würde sich mit einem kleinen, „ethnisch gesäuberten“ Muslimstaat zufriedengeben.

Noch hält sich die Idee einer multikulturellen Gesellschaft in Rest-Bosnien. Wenn aber angesichts der Weigerung, das Waffenembargo aufzuheben, die Hoffnung auf die Rekonstruktion eines einheitlichen Bosniens schwindet, ist der Sieg der muslimischen Nationalisten nur schwerlich aufzuhalten. An der Frage des Waffenembargos hängt also mehr als „nur“ die Einhaltung der UNO-Charta. Erich Rathfelder