„Des san Hund, die wähl ma“

Morgen wird in Bayern gewählt: Umfragen signalisieren eine absolute CSU-Mehrheit / Affären und Skandale vergessen / SPD-Hoffnungsträgerin Renate Schmidt bleibt optimistisch  ■ Von Bernd Siegler

„Ein Mann, der Bayern voranbringt.“ So sieht sich Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber gern. Der Retter des Freistaats, der Saubermann der Partei, einfach „der Mann für Bayerns Zukunft“ – und wohl auch für die Zukunft der Christlich-Sozialen. Vor sechs Monaten hätte niemand mehr einen Pfennig auf die absolute Mehrheit der seit 32 Jahren allein regierenden CSU gesetzt – allzusehr hatten die Amigo-Affären der Partei zugesetzt. Dann kamen die sensationellen 48,9 Prozent bei den Europawahlen. Nach neuesten Umfragen rangiert die Partei, die 1989 bei 54,9 Prozent lag, wieder über 50 Prozent. Ein Ergebnis, das Stoiber bei seiner Amtsübernahme im Juni letzten Jahres schon versprochen hatte.

Die letzten Selbstzweifel sind nun verschwunden, Siegeszuversicht prägt die Parteibasis – und damit aber auch die alte Selbstgefälligkeit, mit der man den Freistaat als Besitzstand der CSU reklamierte. Schon muß Stoiber wieder seine Parteifreunde mahnen, doch „bis zum letzten Tag weiterzukämpfen“.

Schließlich will er nach dem Wahlsonntag nicht nur seiner Lieblingsspeise, dem Schweinsbraten mit Knödel, frönen, sondern mit „Tatkraft und Mut zur Entscheidung“ an der Spitze des Freistaats stehen.

„Absolute Mehrheit „überlebensnotwendig“

7,5 Millionen Mark läßt sich die CSU den Wahlkampf kosten. Die Partei muß noch eine halbe Million Stimmen gegenüber der Europawahl zulegen, um über die 50 Prozent zu kommen. Dafür läßt sie im Wahlkampf die „Volksfront“ marschieren und wettert gegen Rot- Grün. „Für die CSU ist ein Ergebnis von über 50 Prozent in Bayern überlebensnotwendig“, betont Innenminister Günther Beckstein. Eine CSU ohne absolute Mehrheit würde, so Stoiber, die „politische Statik“ in der Bundesrepublik verändern. Die klare Stimme aus Bayern zu Themen wie Abtreibung oder innerer Sicherheit würde dann verwässert werden.

Dies scheint CSU-Generalsekretär Erwin Huber nicht zu befürchten. Er rechnet mit „50 plus X“ und begründet seinen Wahltip mit der „blitzsauberen Leistungsbilanz“ der Staatsregierung. Bayern ist zwar das einzige Bundesland, in dem die Zahl der Drogentoten wächst, auch die Arbeitslosenzahlen steigen abgesehen von saisonalen Schwankungen weiter an, doch die CSU wirbt für sich mit dem Slogan „Damit Bayern vorn bleibt“.

Auch immer wieder neu auftauchende Beispiele des bayerischen Filzes schreckten weder CSU- Spitze noch -Basis. Ob Schwarzgeldzahlungen in Millionenhöhe beim Bau des Münchner Flughafens, ob Richterberufung streng nach dem Parteibuch, wen schert's. Die Amigos Gauweiler, Streibl, Tandler und wie sie alle heißen sind längst vergessen. „Die CSU hat immer wieder die Kraft gehabt, sich zu erneuern“, tönt Stoiber bei jedem Wahlkampfauftritt. „Diejenigen, die glauben, sie könnten mit Amigo-Vorwürfen die Macht übernehmen, die kennen Bayern nicht.“

Dem Phänomen, daß diese Bayern trotz aller Affären immer wieder die Schwarzen wählen, wollte der Münchner SPD-Landtagsabgeordnete Peter Paul Gantzer auf die Spur kommen. In großformatigen Anzeigen suchte er bei den Bürgern eine Erklärung für das für ihn „nicht verständliche Europawahl-Ergebnis“. Über 300 Antworten bekam er, zumeist mit dem Tenor „Solange es Politiker gibt, gibt es auch Affären“ oder „Des san Hund, die wähl ma“. Die Bayern honorieren anscheinend eine gewisse Schlitzohrigkeit, sie finden nichts dabei, sich Zusatzverdienste zu ergattern oder Amt und Geschäft zu verbinden. Unisono heißt es von Hof bis Passau: „Bei den anderen ist es doch auch nicht besser.“

Die „rote Renate“ rackert – aber wird's reichen?

Kein Wunder, daß die bayerische SPD, die in den Europawahlkampf mit dem Plakat „Rote Karte für Amigos“ gezogen war, selbst die rote Karte vom Wähler erhielt. Abgeschlagen landete sie bei den Europawahlen bei 23,7 Prozent. Bei den letzten Landtagswahlen vor vier Jahren waren es immerhin noch 26 Prozent. Für die Hoffnungsträgerin Renate Schmidt ein blamables Ergebnis. Die „rote Renate“ rackert, macht tausend Termine im Jahr, genießt hohe Popularität, verkauft sich gut als „starke Frau“ und läßt sich auch durch schlechte Umfrageergebnisse nicht von ihrem Ziel abbringen, das da heißt: „Ich will Ministerpräsidentin werden.“

Doch eine Renate Schmidt allein kann's nicht richten, zumal der Versuch, ein Bündnis gegen die CSU zu schmieden, gescheitert ist. Die FDP will lieber mit der CSU „den Wandel in Bayern“ (Originalton FDP) anstreben als mit SPD und Grünen „den Wechsel“ (Originalton SPD und Grüne).

Die Hoffnung von SPD und Grünen, daß ökologische Fragen im Land der gigantischen Jahrhundertprojekte (Flughafen München, Rhein-Main-Donau-Kanal) die Wahl entscheiden könnten, ist ebenfalls trügerisch. Die CSU- Staatsregierung forciert die Kanalisierung der Donau, den Neubau zweier umstrittener ICE-Strecken, in Zeiten knapper Kassen stehen für Bayern allein 6.000 neue Straßenkilometer bis ins Jahr 2012 auf dem Programm.

Die von der Staatsregierung geduldete Ausweisung neuer Nachttiefflugkorridore über Franken und der Oberpfalz brachte zwar in Windeseile 19 Bürgerinitiativen auf die Barrikaden, doch die Pfiffe in diesen Regionen ließ Stoiber bei seinen öffentlichen Auftritten abperlen: „Zehn Flüge in der Woche sind wirklich nicht so schlimm.“ Daß die SPD sich auf die Seite der Tieffluggegner geschlagen hat, nutzt Stoiber geschickt zum Feldzug gegen die „Sozis“. Die seien immer auf der Seite derer zu finden, die „meckern, motzen und miesmachen“. Und die wählt man nicht.