Schaum und Stroboskope gegen den „Gwo Neg“

■ Die haitianische Armee dürfte den Amerikanern kaum Gegenwehr bieten – jedenfalls nicht direkt / Angst und Hoffnung bei der Bevölkerung

Der Anfang dürfte das Leichteste sein – wenn es denn tatsächlich soweit kommt. Spezialeinheiten der Green Berets werden in wenigen Stunden die strategischen Punkte einnehmen: Häfen, Flugplätze, Radiostationen, Nationalpalast, Armeehauptquartier. 20.000 Marinesoldaten werden anschließend die Kontrolle über die größeren Städte übernehmen und die wichtigsten Verbindungsstraßen überwachen.

Auf direkten Widerstand werden sie kaum stoßen. Haitis Armee zählt gerade 7.000 Soldaten und verfügt über ein halbes Dutzend Schützenpanzer, ein paar Mörser und Raketenwerfer, kein einziges Kampfflugzeug. Die 165 Marinesoldaten müssen sich das einzige Patrouillenboot teilen. Kriegsschiffe besitzt Haiti nicht.

Aber die Haitianer sind vorbereitet – auf allen Seiten. Die Kriegsschiffe ankern in Sichtweite, auf Flugblättern wurde der Bevölkerung, die zu 80 Prozent aus Analphabeten besteht, in der kreolischen Landessprache die Rückkehr ihres ersten demokratisch gewählten Präsidenten, des vor drei Jahren von der Macht geputschten Jean Bertrand Aristide, angekündigt. Und am Donnerstag abend regnete es in Port-au-Prince sogar Transistorradios, damit die Botschaften der Besatzungsmacht auch wirklich ankommen.

Die Mehrheit der Bevölkerung, vor allem die verarmten Massen auf dem Land und in den Elendsvierteln der Hauptstadt, so kann man annehmen, hoffen auf eine Invasion – aus zwei Gründen: Durch eine Besetzung wird das Wirtschaftsembargo aufgehoben und die ausländischen Soldaten könnten dem Terror ein Ende setzen.

Das Embargo hat die Preise in schwindelerregende Höhen getrieben, fast jede industrielle Produktion zum Erliegen gebracht und den Handel auf Schmuggel mit der Dominikanischen Republik reduziert. Selbst die oberen Gesellschaftsschichten sind betroffen, seit ihre Dollarkonten gesperrt sind und sie nicht mehr in die Vereinigten Staaten ausfliegen können. Für die meisten Berufstätigen bedeutete das Embargo den Absturz in die Armut, und die Masse der Armen, die noch nie die Chance hatte, einer geregelten bezahlten Arbeit nachzugehen, wurde noch tiefer ins Elend gestürzt.

Die andere Hoffnung richtet sich auf ein Ende des Terrors. Jahrzehntelang hatten François und Jean- Claude Duvalier alias „Papa Doc“ und „Baby Doc“ das Land mit den „Tontons Macoutes“, einer 300.000 Mann starken Privatmiliz, regiert. Nachdem ein wesentlich von der Basiskirche getragener Volksaufstand „Baby Doc“ 1986 in die Flucht geschlagen hatte, löste die neue Militärdiktatur die gefürchtete Truppe zwar auf. Doch in den Städten haben längst die Attachés, bewaffnete zivile Helfer der Armee, ihre Aufgabe übernommen. Sie wurden oft in den Kreisen der abgetauchten Tontons Macoutes rekrutiert.

Auf dem Land herrschen wieder wie in alten Zeiten die Chefs de section, die während Aristides siebenmonatiger Amtszeit von der Bildfläche verschwunden waren. Diese lokalen Armeechefs sind Polizisten, Richter und Steuereintreiber in einem und haben in ihrem Dorf oft ihr privat betriebenes Gefängnis. Die Drecksarbeit für sie verrichten die Chouket Lawouze, mit Macheten und Handfeuerwaffen ausgerüstete Schläger, die, weil es sie offiziell nicht gibt, keinen Lohn beziehen und diesen deshalb mit Vorliebe in Form von Bananen, Eiern und Hühnern der armen Landbevölkerung abpressen. Der Gwo Neg (grosse Neger, mächtiger Mann), wie der Chef de section im Volksmund heißt, deckt sie allemal.

Der Terror ist in Haiti allgegenwärtig. Über 3.000 Menschen sind in den drei Jahren seit Aristides Sturz paramilitärischen Killern zum Opfer gefallen. An die 300.000 Anhänger Aristides, schätzt die „Kommission für Gerechtigkeit und Frieden“ der katholischen Kirche, haben ihr Zuhause verlassen und halten sich irgendwo auf dem Land versteckt. Eine offene Diskussion ist in den Dörfern so unmöglich wie Demonstrationen in den Städten. Angst hat sich des Landes bemächtigt. Haitianische Menschenrechtler berichten, es gebe einen Plan, alle Aristide-Anhänger zu töten, falls die Amerikaner einmarschieren.

Ob eine Besatzungsmacht aber mit den schwer kontrollierbaren paramilitärischen Kräften, zu denen sich noch einige tausend desertierende Soldaten gesellen könnten, fertig wird, ist höchst ungewiß. Die haitianische Armeeführung setzt auf eine „antiimperialistische“ Mobilisierung und wird wohl schon bald gegen die weißen Ausländer hetzen – 85 Prozent der haitianischen Bevölkerung sind schwarz, der Rest Mulatten. Jedenfalls hat sie klar gemacht, daß sie einen Guerillakrieg will. Mag sein, daß dies hohles Geschwätz ist, aber für einen Terrorismus, der mal da eine Bombe hochgehen läßt, mal dort einen US-Soldaten erschießt, könnte es schon reichen. Mit den neuen non-letalen Waffen, die bei der Invasion zum ersten Mal eingesetzt werden sollen, um Personen auszuschalten, ohne sie zu töten – Stroboskope, neuartige Blendgranaten und klebriger Schaum zur Immobilisierung des Gegners –, wird die US- Army einem solchen Untergrund jedenfalls nicht beikommen. Und deshalb könnte sich die US-Besatzung länger hinziehen, als den Strategen des Weißen Hauses lieb ist – wenn auch nicht mehr 19 Jahre, wie letztes Mal, von 1919 bis 1934. Thomas Schmid