Die ÖTV muß sparen, sparen, sparen

■ Am Montag beginnt in Bremen der außerordentliche Gewerkschaftstag der ÖTV / Auf dem Programm stehen die Organisationsreform und die künftige Tarifpolitik / Kritik aus den eigenen Reihen

Berlin (taz) – Der Aufwand ist mal wieder gewaltig: 1.040 Delegierte sind zum außerordentlichen Gewerkschaftstag der ÖTV vom Montag an nach Bremen geladen. 312 Anträge liegen zur Entscheidung vor. Ob die mehrere Millionen Mark teure Veranstaltung aber tatsächlich Weichen für eine zukunftsweisende Reform der Gewerkschaft stellen kann, ist fraglich. Denn vor allem eine rigide Sparpolitik muß künftig den Kurs der Gewerkschaft bestimmen.

Die ÖTV hat im vergangenen Jahr 25,7 Millionen Mark mehr ausgegeben, als sie eingenommen hat. In diesem Jahr wird das Defizit voraussichtlich sogar 13 Millionen Mark betragen. Für das große Loch in der Kasse macht die ÖTV- Zentrale vor allem den erheblichen Mitgliederschwund verantwortlich. Seit Ende 1991 gingen fast 200.000 Mitglieder verloren. Um den Haushalt auszugleichen, sollen annähernd 20 Prozent der Stellen bei der ÖTV abgebaut werden. Außerdem soll der in Stuttgart residierende geschäftsführende Vorstand von bisher neun auf sieben Mitglieder gekappt werden. Der Hauptvorstand wird jetzt von 102 auf 76 Mitglieder verkleinert und statt der bisher 41 berufsfachlichen Abteilungen soll es künftig nur noch sechs für berufsfachliche Arbeit zuständige Bereiche geben.

Die ÖTV-Vorsitzende Monika Wulf-Mathies betonte, der Sachkongreß stehe unter der Leitlinie „Transparenz, Beteiligung und Handlungsfähigkeit“. Genau dies wird aber von Kritikern innerhalb der Gewerkschaft bezweifelt. Der Vorsitzende der Kreisverwaltung Stuttgart-Böblingen, Uwe Theilen, warf der ÖTV-Spitze eine „kopflose Sparpolitik“ vor, „wie wir sie bei jeder Stadtverwaltung aufs heftigste kritisieren würden“. Es gebe „keinerlei Ansätze einer Aufgabenkritik, einfach nur Drosselung der Haushalts- und Stellenpläne“. Die Umwandlung der 41 berufsfachlichen Abteilungen in sechs Bereiche beispielsweise sei eine „Scheinreform“, so Theilen. Berufsfelder, die zahlenmäßig nicht so stark vertreten sind, gerieten damit ins Hintertreffen.

Theilen und Werner Sauerborn, Sekretär bei der ÖTV-Hauptverwaltung, beklagen auch, daß Ansätze von mehr Transparenz innerhalb der Gewerkschaft von der ÖTV-Spitze nicht aufgegriffen würden. Anträge aus den Kreisverwaltungen, die eine bessere Kontrolle sowohl der Vermögensverwaltung der ÖTV als auch die Bildung von Untersuchungsausschüssen innerhalb der Gewerkschaft vorsehen, wurden von der Antragskommission zur Ablehnung empfohlen.

„Statt dem Gewerkschaftstag konkrete Vorgaben zur Entscheidung vorzulegen, wimmelt es wieder von sattsam bekannten unverbindlichen Absichtserklärungen in den Anträgen von geschäftsführendem Hauptvorstand und Hauptvorstand“, so Theilen und Sauerborn. Die Kritiker befürchten, daß sich künftig die Fronten zwischen Traditionalisten, die eine offensive, auf Zuwächse ausgerichtete Tarifpolitik betreiben und Modernisierern, die flexibleren Lösungen zugeneigt sind, noch verhärten und eine Reformdebatte erschweren könnten. Im tarifpolitischen Leitantrag des Hauptvorstandes wird ein einheitliches Tarifrecht für Arbeiter und Angestellte gefordert. Der Antrag spricht sich auch für eine Verringerung der Hierarchie-Ebenen, wie beispielsweise Lebensaltersstufen, in den Tarifen aus. Leistungsbezogene Vergütungsbestandteile sollen in Grenzen möglich sein. Auch die Einrichtung von Arbeitszeitkonten und die Möglichkeit der Umwandlungen von Zulagen in Freizeit wird vorgeschlagen.

Der Kongreß zwischen dem 19. und 21. September wird informell bestimmt von der Debatte um die Nachfolge der amtierenden ÖTV- Vorsitzenden Monika Wulf-Mathies. Als ein möglicher Kandidat ist der hessische Bezirksleiter Herbert Mai im Gespräch, der als Modernisierer gilt. Der 47jährige gelernte Verwaltungsfachmann steht der Frage einer Privatisierung öffentlicher Aufgaben aufgeschlossen gegenüber. Über die Nachfolge von Wulf-Mathies soll aber erst ein Wahlkongreß im Februar entscheiden. Dessen Kosten werden auf etwa drei Millionen Mark veranschlagt. Der Gewerkschaftskongreß in Nürnberg im Jahre 1992 kostete die ÖTV sieben Millionen Mark. Barbara Dribbusch