Schwerter zu Büchern, Brüder!

Chuck D, der Mann mit der horizontalen Stirnfalte des HipHop, richtet seine Wut heute mehr gegen Kiffer, Säufer und Gangster in der eigenen Community: Public Enemy und ihr neues Album „Muse Sick-N-Hour Mess Age“  ■ Von Dietrich Roeschmann

Public Enemy haben es hinter sich gebracht. Ihr fünftes, eher skeptisch als fiebernd erwartetes, Album „Muse Sick-N-Hour Mess Age“ ist gerade erschienen, die Interviews sind gedruckt, die Fotos veröffentlicht. Was sie zeigen, ist nicht unbedingt neu. Chuck Ds Wut als horizontale Stirnfalte, entschlossene Blicke und andere obligate Zeichen. Flavor Flavs Küchenuhr steht auf zwanzig vor vier. Time as usual, ohne Angst.

Es scheint fast so, als sei die radikale Geste für Public Enemy nach sieben Jahren zu einer Frage der Sicherheit und des Überlebens am Markt geworden. Bereits mit ihrem zweiten Album „It Takes A Nation Of Millions To Hold Us Back“ (1988) brachten sie HipHop nicht nur Lärm, sondern vor allem eine entschiedene Hinwendung zur Politisierung seiner issues. Mit neuen Technologien tanzten Public Enemy hinter einem Wall Of Sound, der die Band mit einem undurchdringlichen Geflecht an gesampleter Geschichte wie einen Mikrostaat nach außen hin abdichtete. Das geschlossene Erscheinungsbild der Gruppe, ihr paramilitärisches Outfit, die graphisch bis ins letzte Cover-Detail durchorganisierte Übersetzung ihrer Haltungen erweckten den Eindruck von einer Unbesiegbarkeit, die symbolisch repräsentierte, was jenseits des Popkosmos nur noch als Spinner- und Sektierertum durchging: die Revolution als Jüngster Tag für die white supremacy.

Die Unteilbarkeit dieses Anspruchs spiegelte sich in kompakten Silben-Regimentern wieder, die immer wieder neue Slogans auf ihren Fahnen trugen. „Bring The Noise!“, „Fight The Power!“ – Universalität in der Stunde des Chaos. Nicht zufällig waren derartige Slogans auch für ein weißes Publikum attraktiv. Nicht als Ausdruck einer nur diffus wahrgenommenen „schwarzen“ Befreiungshoffnung, sondern als rebellische Codes, die auch in Europa entziffert werden konnten: in der Hoffnung, daß in diesen langweiligen Verhältnissen, in denen Widerstand doch immer nur wieder in Verbesserungsvorschlägfen mündet, noch so etwas wie ein cooles Wissen und Kämpfen möglich sei.

Ihre Radikalität machte Public Enemy für die weißen Kids trotz des mitausgesprochenen Rattenschwanzes an Widersprüchen, offensichtlichem Verschwörungs- Bullshit und obskuren Weltsichtfragmenten zu Integrationsfiguren. Dem durchschnittlichen weißen Popkonsumenten schienen sie näher als etwa die Afrozentristen des X-Clan, deren Haltung zwar nicht weniger radikal war, deren unverständliche Zeichen, sonderbare Sprechtechniken und ihr folkloristischer Overdress allerdings nicht – oder allenfalls peinlich – berührten.

Public Enemys akustische und visuelle Inszenierung des Revolutionärs zeigte darüber hinaus, daß political correctness schon immer auch eine Frage der Lebensweise war. Askese statt Luxus, ein geregeltes Leben ohne Drogen und Exzesse und Leitsätze, wie Ralph Ellison sie in seinem Roman „Invisible Man“ einem schwarzen Stalinisten in den Mund legt: „Unterschätzen Sie die Disziplin nicht, Bruder! Sie ist sehr streng, aber in ihrem Rahmen haben Sie die volle Handlungsfreiheit.“

Der Punkt, an dem der Staat Public Enemy seinen Zenit überschritt, gründete auf fatale Weise auf dieser inneren Logik der Disziplin. Als der damalige Informationsminister der Band, Professor Griff, seine „Handlungsfreiheit“ nutzte und der rechtsradikalen Washington Times antisemitische Sprachspiele ins Mikrophon diktierte, wurde auf unangenehme Weise deutlich, was den mythischen Kern ihrer Uneinnehmbarkeit bislang gebildet hatte: eine sonderbare falsche und fixe Idee, die ihre eigene Logik entwickelt und dabei ein Weltbild produziert hatte, das in seinen zentralen Momenten total, erfahrungsunabhängig und entschlossen „großen Lösungen“ entgegenfiebert.

In diesem Moment fiel die Kohärenz der Gruppe wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Die zeitweilige Rückendeckung für Professor Griff, undurchsichtige Kommentare der Band, die zögernden Dementis von Chuck D – all das demontierte Stück für Stück die lärmende Utopie vom korrekten, kompromißlosen Kampf.

„Muse Sick-N-Hour Mess Age“ sollte – nicht anders als „It Takes A Nation Of Millions“ – ein programmatisches Album werden. Unter anderen Voraussetzungen. Nachdem mit Griffs antisemitischen Ressentiments zugleich deutlich geworden war, daß Unterdrückung eben auch ein Denken hervorbringt, das Repression mitreproduziert, scheint es für Chuck D notwendig geworden zu sein, die eigene Position eindeutiger zu bestimmen, den Kreis der Gegner einzugrenzen. Auf die Medien. Auf Europa und Amerika. Auf Rechtsradikale und Rassisten – wie David Duke, der in dem als Ausblick vorangestellten Science- fiction-Szenario „Beginning Of the End“ zum Präsidenten der USA avanciert, Rassismus als Staatsziel definiert und schließlich im Jahr der Offenbarung 1999 eine neofaschistische Allianz mit der westlichen Welt eingehen wird.

Auch wenn sich dieses Szenario noch bei apokalyptischen Sujets bedient, stützen sich Chuck Ds Texte heute weniger denn je auf Paranoia und Verschwörungstheorie. Über den Black Nationalism und die islamische Ehtik der letzten Alben hinaus ist er auf „Muse Sick-N-Hour Mess Age“ nun bei einem leisen Konservativismus angekommen, der den einst so spektakulären Gedanken des Rebellentums recht bescheiden in den Alltag integriert – im Kampf um den Erhalt der Community und die Zukunft ihrer Kinder. Allegorische Figuren wie der B-Boy Death, der im Video zu „Give It Up“ kleine, dicke Middle-class-Kids zu Alkohol, Schießen und Scheißerauchen verführt – sind das nicht die Zeichen, mit denen momentan auch Koalitionen von republikanischen Rechtsaußen-Politikern, führenden Vertretern der afroamerikanischen Gemeinden und moralfundamentalistischen Frauenverbänden versuchen, HipHop für die zunehmende Gewalt unter schwarzen Jugendlichen verantwortlich zu machen? „Gun, drugs & money / All you know / So whatcha gonna do now?“

Der entscheidende Unterschied bleibt, daß Chuck D das Dramatisierungsgefälle zwischen Text- und Lebensalltag im Gangsta-HipHop benennt, aber der Dramatisierung zugleich den Einwand des Selbstbetrugs entgegenhält: „All Because the white man usually ends up on top while we as a people suffer the casualities from ourselves“ („So Whatcha Gonna Do Now“). Hier geht es auch um Moralismus, aber eben nur auch. Der Rest ist die Aktivierung der Malcolm Xschen House-Negro-Theorie für den Ist-Zustand des HipHop. Gangsta Tom mag seinen Herrn eben auch heute noch. Fuck him! Oder wie das Video lehrt: Macht Schwerter zu Büchern, Brüder!

Damit rocken Public Enemy momentan natürlich die Anti- These zu allem, was Kids heute Spaß macht. Der komprimierte Intensivfunk-Lärm, den sie mit „Muse Sick-N-Hour Mess Age“ zurückbringen, wirkt dabei so zeitlos wie ihr entschiedener Erklärungswille. Auch er dürfte sich derweil nur mühsam an den Markt bringen lassen, zeugt aber vom ungebrochenen Vertrauen in das Medium HipHop. Ob im Vorwort zur Platte, in dem Chuck D das Fehlen einer politischen Infrastruktur in der Community als „outcome of the racist blueprint“ beschreibt, oder in der kurzen Übersicht zu den wichtigsten Botschaften der einzelnen Stücke: Das Manual zum richtigen Gebrauch der Messages ist immer zugleich Defensivstrategie, die der Textexegese durch die Kritik bereits mit Eigeninterpretationen begegnet. Eine Maßnahme, die über Public Enemys momentane Verfassung hinaus vor allem ihre grundsätzliche Bedeutung erneut definiert – als unermüdlich öffentlich arbeitende Diskursmaschine des HipHop.

Public Enemy: „Muse Sick-N- Hour Mess Age“ (Sony)