„Fußball ist mein Leben“

In Kreuzberg spielt das einzige türkische Frauenfußballteam Deutschlands beim Verein Agrispor / Rassismus als ständiger Begleiter  ■ Von Andreas Pfahlsberger

Mitten im Görlitzer Park in Kreuzberg: 20 junge Frauen spielen auf dem Kunstrasenplatz Fußball. Frauenfußball, das ist hierzulande längst nichts besonderes mehr. Durcheinander geraten die Bilder in den Köpfen allerdings, wenn, wie in diesem Fall, türkische Frauen diesen Sport betreiben.

Safiyer ist 15 Jahre alt. Sie ist in Berlin geboren, geht hier zur Schule, und sie ist Türkin. Seit neun Jahren spielt sie Fußball, zunächst auf der Straße, später im Mädchenteam des 1. Traber FC. Wenn sie nach ihrem Leben gefragt wird, dann antwortet sie, Fußball sei ihr Leben. Safiyer ist Mittelstürmerin im einzigen türkischen Frauenfußballteam Deutschlands. Achtzehn Türkinnen und zwei Griechinnen, die im Durchschnitt erst 17 Jahre alt sind, kicken für Agrispor um Punkte.

Im Frühjahr 1991 entstand die Idee zur Gründung eines Mädchenteams bei Agrispor. Nadiya, die heutige Betreuerin des Teams, besuchte des öfteren Spiele der Mädchen des 1. Traber FC. Dort kickten einige ihrer Freundinnen und Cousinen, die zwar gerne Fußball spielten, in ihrem Verein aber nicht so recht glücklich waren. Zu groß blieb die Distanz zu ihren deutschen Mitspielerinnen, überdies war es ihnen verboten, im Training miteinander türkisch zu sprechen. Als sich deshalb Safiyer eines Tages auf der Ersatzbank wiederfand und ihr Trainer keinen Grund sah, seine Entscheidung zu revidieren, beschlossen sie, nie mehr für diesen Club zu spielen.

Nadiya schlug daraufhin dem Vorstand von Agrispor die Gründung einer Mädchenabteilung vor. Dieser war auf Anhieb begeistert, und so stand in der Saison 91/92 das erste türkische Mädchenfußballteam auf dem Rasen. Als im vergangenen Jahr die meisten Spielerinnen die Altersgrenze von 16 Jahren erreicht hatten, wechselte das Team in den Frauenbereich.

Über die Jahre wurde es fast eine verschworene Clique, die sich nahezu täglich trifft. Die Mädchen sehen ihr Team wie eine Familie, und überdies ist Aram Somunciyan, der Vater von Nadiya, von Anfang an der Trainer gewesen. Ohne ihn würden sie nicht bei Agrispor spielen, betonen sie. Er kümmert sich um die Mädchen, hat immer ein offenes Ohr für ihre Probleme. Im Training kann er ziemlich laut werden, wenn Pünktlichkeit und Disziplin zu wünschen übriglassen. Die Spielerinnen nehmen's gelassen und machen oft genug, was sie wollen. Einige Co- Trainer haben deshalb schon aufgegeben – Somunciyan ist geblieben und unermüdlich für sein Team im Einsatz.

Schwierigkeiten gibt es vor allem mit den Eltern. Manches Mädchen mußte mit dem Fußballspielen aufhören, weil die Eltern dagegen waren. Auch Somunciyan konnte da nichts ausrichten. Einige Mädchen kommen deshalb heimlich zum Kicken. Für die 18jährige Sonnua kommt dies aber nicht in Frage: „Ich kann nicht ohne Fußball leben. Ich würde weiterspielen, ob die Eltern es erlauben oder nicht.“ Die meisten Spielerinnen denken so. Ihre Eltern seien allerdings sehr liberal, ließen ihnen viele Freiheiten. Nicht wenige Eltern sind stolz auf die sportlichen Leistungen ihrer Töchter.

Wesentlich größere Probleme bereiten den Mädchen die Gegenspielerinnen. Nicht etwa sportliche, sondern rassistische Schmähungen machen ihnen zu schaffen. Allzuoft müssen sie erleben, wie wenig ein türkisches Team akzeptiert wird. Diese Erfahrungen werden verstärkt durch das Verhalten der Schiedsrichter und des Verbandsgerichts. Viele Schiedsrichter stellen sich taub, wenn rassistische Äußerungen fallen. Geht dann aber mit den Spielerinnen von Agrispor das Temperament durch und sie schreien zurück oder schubsen gar ihre Gegnerinnen, verhängt das Verbandsgericht drakonische Strafen gegen sie. Rassismus auf dem Sportplatz bleibt hingegen meist ungeahndet.

Diesen Rassismus können die Mädchen nicht verstehen. „Ich bin Türkin, aber auch Deutsche“, sagt Safiyer, „wir sind doch alle Menschen, allein das ist wichtig.“ Sie und Sonnua träumen davon, eines Tages in der Bundesliga zu spielen. Sie wollen für ihre sportliche Leistung akzeptiert werden und Fußball stellt für sie auch einen Weg zur Selbstverwirklichung dar. Heiraten und eine Familie haben kommt für sie so schnell nicht in Frage. „Viele Mädchen werden aufhören, wenn sie heiraten“, befürchtet Co-Trainer Niyazi Güzelyil. Die 18jährige Türkan bestätigt dies: „Wenn man heiratet, muß man auch etwas aufgeben.“