Berlin – zapfenduster

■ Alliiertenabschied: Ehrengäste und sonstige Prominenz unter sich

Einer kam durch. Da hatte sich die Polizei so angestrengt, um jeden Störer vom Großen Zapfenstreich fernzuhalten. Weiträumig war das Brandenburger Tor abgesperrt worden. Drei Stunden vor Beginn der Zeremonie am Donnerstag abend mußten sich die Zuschauer einfinden. Die Kontrollen an den Zugängen glichen dem Check-in auf Flughäfen. Und dann saß doch ein Querulant zwischen den 17.000 Andächtigen, die in den Genuß von Eintrittskarten gekommen waren. „Bundeswehr und deutsches Geld morden mit in aller Welt!“ trompetete es von einer der Tribünen, mitten hinein in das Militärritual. Ein kurzer Moment der Irritation für Bundeskanzler und Bundespräsident, die mit ihren Gästen aus den USA, Großbritannien und Frankreich zu Füßen der Ehrentribüne Platz genommen hatten. Nur aus weiter Ferne drang das Pfeifkonzert der Protestierer über den Platz, die sich trotz Demonstrationsverbots zusammengefunden hatten.

Es war der Tag des deutschen Militärs. Nicht die Alliierten, die mit drei Einheiten auf den Platz gezogen waren und denen der Abschied gelten sollte, bestimmten das Bild. Marineweißblau, Heeresgrau und Luftwaffenblau füllten den Pariser Platz aus. Endlich konnte auch die Bundewehr in Berlin zeigen: „Wir sind wieder wer.“ Wer zu Kampfeinsätzen in die Welt ziehen will, kann eine Front zu Hause nicht gebrauchen. Die bundesdeutsche Gesellschaft ist in weiten Teilen entmilitarisierte Zone: Uniformträger sind seit fast fünfzig Jahren marginalisiert, die Truppe spielt im Bewußtsein der Bürger kaum eine Rolle. Doch schon lange bastelt die Bundeswehrspitze an Strategien, um die Gesellschaft auf eine neue Akzeptanz der Soldaten einzustimmen. Der große Zapfenstreich vor dem Brandenburger Tor – weihevoll, das Martialische durch Musik soweit kaschiert, daß es als Militärshow durchgehen kann – was Besseres konnte sie sich nicht wünschen. Michael Washinton (26), schwarzer US-Soldat aus North- Carolina, stationiert in Suttgart, war mit einer Reihe Kollegen angereist. „Das ist ein toller Eindruck hier. Ich mag das.“ Daß die Alliierten aus Berlin abziehen, fand er in Ordnung. Aber einige US-Soldaten sollten doch in Deutschland bleiben. Warum? Washinton wiegt den Kopf, will mit der Sprache nicht heraus: „Just because ...“

Peter Enkel (32) ist Hauptmann des Wachbataillons, das für protokollarische Einsätze – wie den Großen Zapfenstreich – zuständig ist. Hellgraue Uniform, froschgrünes Barrett. Er strahlt: „Das ist überwältigend hier. Das hab' ich mir vor drei oder vier Jahren nicht träumen lassen: der große Zapfenstreich am Brandenburger Tor. Das ist die Krönung! Das ist so ergreifend. Ich krieg' richtig 'ne Gänsehaut.“ Ihm hätte es allerdings besser gefallen, wenn auch die Russen dabeigewesen wären.

Enkel ist ein moderner Soldat. Toleranz und Offenheit heißt die Parole. „Ich hab' nichts gegen die Demonstranten. Sie könnten ja mit Transparenten auftreten oder zu einem anderen Zeitpunkt protestieren. Aber mutwillig die Stimmung zu zerstören, sie kaputtzubuhen und zu trillern, das muß nicht sein.“ Die Bundeswehr, meint Enkel, müsse anders in der Gesellschaft verankert werden. So wie in Frankreich oder den USA.

Out-of-area-Einsätze der Bundeswehr findet Enkel richtig: „Wir gehen ja hin, um zu helfen. Die Zeiten ändern sich, neue Aufgaben kommen auf uns zu.“ Aber die Bevölkerung müsse dahinterstehen. „Das ist ...“, er zögert ein bißchen, „doch noch nicht ganz so.“

Als am Ende des Spektakels die deutsche Nationalhymne erklang, schallte es laut von der Ehrenloge über den Platz. Die ausgewählten Zuschauer auf den Seitentribünen blieben, bis auf wenige, stumm. Den Berlinern fehlte offensichtlich die Übung. Zu selten waren bislang die Anlässe, zu denen die dritte Strophe des Deutschlandliedes geschmettert wurde. Bascha Mika