Gewerkschaft bedingt sparbereit

■ „Aber gleichzeitig muß man ein Minimum an zusätzlichen Lehrerstellen schaffen“/Interview mit dem GEW-Vorsitzenden Dieter Wunder

taz: In den alten Bundesländern steigen die Schülerzahlen, aber mehr Lehrer werden nicht eingestellt. In Niedersachsen droht gar ein genereller Einstellungstopp.

Dieter Wunder: Der Trend heißt gegenwärtig Verschlechterung der schulischen Qualität. Das sind manchmal kleine, manchmal deutlich spürbare Schritte. Aber überall, auch in den östlichen Ländern, wird der Bildungshaushalt als einer der Haushalte angesehen, in denen man sparen kann. Der Widerstand der Öffentlichkeit und der Politiker gegen Kürzungen bei der Bildung ist leider nicht sehr groß.

Verweisen die Politiker nicht zu Recht auf Sparzwänge, die sich letztlich aus der deutschen Einheit ergeben?

Zuerst muß man fragen, welche Mittel sind für einen bestimmten Bereich – hier die Erziehung unserer Kinder – notwendig. Danach muß man fragen, wie sich mit den vorhandenen Mitteln die Aufgaben möglichst günstig lösen lassen. Zur Zeit gibt es nur ein blindes Sparen, dem die Qualität der Schule zum Opfer fällt. Wir sehen auch, daß gespart werden muß. Aber es wollen nur wenige Landesregierungen mit uns diskutieren, wie sich die Standards im Bildungsbereich wenigstens aufrechterhalten lassen. Nur aus Bremen, Hessen, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen gibt es Gesprächsangebote. Aber auch diese Länder wollen trotz steigender Schülerzahlen keine neuen Lehrerstellen schaffen. Man kann zehn oder auch zwanzig Prozent mehr Schüler nur mit Neueinstellungen bewältigen.

Sie wollen also mehr Lehrerstellen, lehnen aber eine Rationalisierung von Schule offenbar nicht grundsätzlich ab.

Dies hängt auch sehr von landesspezifischen Bedingungen ab. Wir sind – etwa was Berlin, aber auch andere Länder angeht – der Meinung, daß die Schulverwaltungen zu aufgebläht sind. Dies heißt allerdings nicht, daß wir für Berlin die unnötige Zentralisierung durch ein Landesschulamt befürworten. Überprüfen müssen wir, ob die heute für das Schulwesen ausgeworfenen Sachmittel in jeder Hinsicht vernünftig ausgegeben werden. Bei den Sachmitteln werden gerade zu Jahresende oft Ressourcen verschwendet. Heikel ist für uns die Frage, ob heute die Lehrer wirklich effektiv eingesetzt werden. Muß man wirklich soviel Lehrerstunden wie derzeit für Verwaltungszwecke verwenden? Natürlich dürfen den Kolleginnen diese Stunden für Verwaltung nur genommen werden, wenn auch tatsächlich andere die Verwaltungsaufgaben übernehmen. Regierungshandeln, das nur von Oben die Bedingungen von Schule bestimmt, ohne die Sichtweise der Kollegen einzubeziehen, wirkt demotivierend, geht damit zu Lasten der Qualität von Schule. Wenn eine Landesregierung den Kollegen einfach eine höhere Stundenzahl verordnet, dann treten die Betroffenen am Ende einfach kürzer.

Was Sie an Rationalisierungen vorschlagen, hält sich demnach in sehr bescheidenem Rahmen.

Zum einem gab es früher schon Zeiten, wo wir einen größeren Teil unseres Sozialproduktes für die Bildung und damit für unsere Zukunft zur Verfügung gestellt haben. Zum anderen steigen die Schülerzahlen, und für diese muß man zumindest qualitativ halbwegs vertretbare Wege finden. Möglicherweise kann man an der einen oder anderen Stelle tatsächlich den Unterricht kürzen, aber gleichzeitig muß man in jedem Fall ein Minimum an zusätzlichen Lehrerstellen schaffen, etwa für die Hälfte der zusätzlichen Schülerzahlen. Solche Kompromisse wären ja denkbar, aber auch die sind im allgemeinen nicht im Gespräch. Im übrigen wird ja heute von den Lehrern weit mehr als normaler Unterricht verlangt. Lehrer sollen sich engagieren, etwa gegen Rechtsradikalismus, sollen mehr als früher Erziehungsaufgaben übernehmen. Auch in schwierigen Zeiten muß dieses Engagement der Lehrer unterstützt, vielleicht sogar verbessert werden. Doch wir erleben zur Zeit das Gegenteil.

In Niedersachsen sollen jetzt möglicherweise auch freiwerdende Lehrerstellen nicht wieder besetzt werden. Die SPD diskutiert einen generellen Einstellungsstopp.

Das wäre das schlimmste, was uns passieren kann. Ohne Ersatzeinstellungen sind die Probleme der nächsten Jahre nicht zu bewältigen. Das wäre der Bankrott der Schulpolitik.