Deutschlands oberster Polizist in Erklärungsnot

BKA-Chef Zachert als Zeuge im Solinger Prozeß / Laue Erklärung zu brisanter Äußerung  ■ Von Walter Jakobs

Düsseldorf (taz) – Nein, souverän kann man diesen Auftritt gewiß nicht nennen. Er rutscht nervös auf dem Zeugenstuhl hin und her, sucht kleinlaut nach Worten und nippt immer wieder nervös an einem Glas Wasser. Kurzum, da fühlt sich jemand sichtlich unwohl in seiner Haut – wie ein ertappter Sünder. So fahrig hat man Hans- Ludwig Zachert, den Chef des Bundeskriminalamtes (BKA) selten zuvor erlebt. Immer wieder mußt Wolfgang Steffen, Vorsitzender des 6. Strafsenats am Düsseldorfer Oberlandesgericht (OLG), der nun schon seit Monaten versucht, den mörderischen Solinger Brandanschlag aufzuklären, dieselbe Frage stellen: „Wie sind sie zu der Bewertung gekommen?“

Die für den BKA-Chef so brisante „Bewertung“ hatte die Nation am 24. 11. 1993 über das ZDF erreicht. Kurz vor der richterlichen Haftüberprüfung der vier in Düsseldorf angeklagten jungen Männer, sprach Zachert wörtlich von einer „Beweislage, die sehr schwach ist, das räume ich ein.“ Nicht zuletzt durch diese Äußerungen des BKA-Chefs waren seinerzeit Spekulationen genährt worden, die Haftentlassung von drei der vier Angeklagten stünde unmittelbar bevor. So erklärte der Bonner Innenausschuß-Vorsitzende Gottfried Bernrath (SPD) in mit der taz vom 1. 12. 1993 wörtlich: „Ich bleibe dabei, daß die jetzt vorliegenden Ergebnisse nicht dazu führen, daß die Haft der bislang Verdächtigten aufrechterhalten werden kann. Wahrscheinlich führen sie bei drei der vier Inhaftierten dazu, daß sie an der Tat gar nicht beteiligt waren.“

Nun, es kam anders. Der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof bestätigte die U-Haft und das Düsseldorfer OLG ließ die Anklage zu Beginn des Jahres zu. Gestern nun suchte Zachert seine Äußerungen als ein einziges Mißverstandnis hinzustellen. Er habe seinerzeit mit einer „hypothetische Darlegung“ auf die Angriffe gegen das BKA reagiert und zeigen wollen, daß es für einen BKA-Chef „keinen Grund zum Rücktritt gibt, wenn ein Haftrichter nach Prüfung der Beweislage eine Haftentlassung verfügt“. Dabei habe er im konkreten Fall keine Vorwegnahme der Beweiswürdigung treffen wollen, sondern nur einen Vergleich mit dem „idealtypischen Fall“ – vier Geständnisse, Fingerabdrücke, etc. – vorgenommen. Der BKA-Chef wörtlich: „Es sieht nach einer Würdigung aus, die lag mir aber fern.“ Wohl wissend, daß es anders war – die Abschrift des Interviews beweist, daß Zacherts Wertung sich eindeutig auf die Solinger Ermittlungsergebnisse bezog – führt er „die räumliche Bedrängnis“ während des Interviews als laue Entschuldigung an.

Den Berichten seiner Beamten konnte der oberste Polizist seine Einschätzung offenbar nicht entnehmen. So hat sich jedenfalls der leitende Ermittlungsbeamte der Sonderkommission (Soko-Sole), Paul Kröschel, in der vergangenen Woche als Zeuge vor Gericht geäußert. Kröschel wörtlich. „Ich kann mir nicht erklären, warum mein Präsident so etwas gesagt hat.“ Nun, da steht Kröschel nicht allein. Auch dem Präsidenten erging es gestern nicht anders. Nach zweistündigen Deutungsversuchen seiner eigenen Worte kam dies heraus: „Ich würde das nicht noch einmal sagen.“

Während der Verteidiger des jegliche Tatbeteiligung bestreitenden Angeklagten Felix K., Georg Greeven, gestern dem bedrängten BKA-Chef mit den Worten beisprang, „das Interview ehrt sie“, warf ein Anwalt der Nebenkläger Zachert „eine einseitige Parteinahme zugunsten rechtsradikaler Gewalttäter vor“. Die Hinterbliebenen der fünf grausam zu Tode gekommenen türkischen Frauen und Mädchen seien „zutiefst empört und entsetzt“ über das Verhalten des BKA-Präsidenten, sagte der Kölner Rechtsanwalt Reinhard Schön.

Die Angehörigen der Opfer haben gestern ein entschiedeneres Vorgehen gegen rechtsradikale Täter gefordert. „Wenn wir morgens die Zeitung aufschlagen, so ist unsere erste Frage immer wieder: Wen haben sie heute wieder angesteckt, wer ist angegriffen worden“, sagte Sündüz Saygin, die bei dem Anschlag fünf Angehörige verloren hatte. Die Taten von Rechtsradikalen seien gerade so, als ob es die toten Menschen in Solingen und anderswo nicht gegeben hätte, meinte Saygin. An die Verantwortlichen stellte sie die Frage: „Was ist aus Euren Versprechen geworden? Ist es wirklich so, daß dieser große Staat nicht in der Lage ist, diesen verblendeten Feinden der Menschen einen Riegel vorzuschieben?“

Für einige Verwirrung sorgte gestern ein Brief, den der Angeklagte Christian R. aus dem Knast heraus einer Bekannten geschickt hat. In dem Schreiben bezichtigt sich R. der Alleintäterschaft. Der 18jährige hatte die Polizei kurz nach seiner Festnahme mit immer neuen „Geständnissen“ genarrt. Erst waren es ein paar unbekannte Skins, dann outete er sich als Alleintäter und später gestand er, zusammen mit den drei Mitangeklagten die Tat begangen zu haben. Zum Prozeßbeginn schwieg er sich dann zu seiner eigenen Tatbeteiligung aus, erklärte aber, daß die andere drei Angeklagten mit der Tat „nichts zu tun haben“. Dem steht das Geständnis des Angeklagten Markus G. gegenüber. Danach haben alle vier Angeklagten zusammen den grausamen Anschlag ausgeführt. Wer hier warum lügt, versucht das Gericht nun schon seit Monaten aufzuklären.