Fader Birnengeschmack

■ Jusos wegen Kohl-Luftballons von der Polizei eingekesselt und bedrängt

Mit Plakaten und Luftballons wollten am Mittwoch zehn Berliner Jungsozialisten gegen den zwölfjährigen Sozialabbau durch die Bundesregierung protestieren. Anläßlich des Empfangs für den russischen Präsidenten Boris Jelzin durch Bundeskanzler Helmut Kohl hatten die Jusos tausend Luftballons mit der Aufschrift „Laßt die Birne platzen – Kohl abwählen!“ mitgebracht, die sie, mit Helium gefüllt, am Gendarmenmarkt aufsteigen lassen wollten. Doch dazu kam es nicht.

Da von mehreren Hundertschaften der Polizei das Gebiet weiträumig abgeriegelt worden war, mußten die Jungsozialisten auf die Straße Unter den Linden ausweichen. Doch bevor auch nur ein Luftballon an den Mann/die Frau gebracht werden konnte, erschien die Polizei. Nachdem die Demonstranten eine halbe Stunde lang ohne Begründung hingehalten wurden, beschlagnahmten die Beamten der Einsatzhundertschaft 21 die Ballons mit der Begründung, daß die Aufschrift eine „politische Beleidigung“ darstelle. Die Jungsozialisten wollten ihren geplanten Protest jedoch nicht aufgeben. Als sie am Nachmittag fünf Transparente mit der gleichen Aufschrift zur Neuen Wache bringen wollten, um dort zu demonstrieren, wurden sie von Polizeibeamten eingekesselt. Unter Androhung einer Strafanzeige wegen Verunglimpfung des Bundeskanzlers beschlagnahmten die Beamten die Transparente und nahmen die Personalien der Jugendlichen auf.

Die rund einstündige Schikane reichte der Polizei offensichtlich nicht: Noch auf dem Rückweg, so die Landesgeschäftsführerin der Jungsozialisten, Daniela Fiedler, habe man die Demonstranten aus Telefonzellen gezerrt sowie ihre Taschen und Rucksäcke durchwühlt. Ihre Dienstausweise haben die Beamten dabei nicht vorgezeigt. Anwesende Besucher glaubten ihren Augen nicht zu trauen. Eine Marzahner Schülerin ganz aufgeregt: „Ich dachte, das Demonstrieren sei nur unter Honecker verboten gewesen.“ Die Beamten der Einsatzhundertschaft waren zu einer Stellungnahme nicht bereit.

Der Pankower Juso Sebastian Lippmann sagte zu den Vorfällen: „Ein Skandal! So etwas kannten wir bisher nur aus der Zeit vor der Wende, von der Stasi!“ Die Berliner Jusos haben mittlerweile eine Presseerklärung herausgegeben, in der sie die Einschränkung ihres Rechts auf freie Meinungsäußerung aufs schärfste kritisieren: „Es darf nicht sein, daß das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung von der Polizei aufgehoben wird. Wenn die Begründung, daß ,Birne‘ eine politische Beleidigung sei, wirklich zutrifft, müßte auch bald in die Pressefreiheit eingegriffen werden.“ Peter Lerch

Siehe auch Seite 4