■ Im Kern liegt Kohl mit seiner Oppositionskritik richtig
: Wahrheit tut weh

Helmut Kohl hat am Wochenende in Dortmund als Wahlkämpfer zugeschlagen: zugespitzt, polemisch, in Teilen selbstgerecht. Ein Auftritt, der für Linke aller Schattierungen genügend Stoff bietet, um den schwarzen Riesen einmal mehr zu entlarven. Vor allem Kohls Angriff auf die SPD, deren Magdeburger Kurs er als „Schande für Deutschland“ geißelte, weil mit Hilfe der Sozialdemokraten die „kommunistische PDS“ wieder salonfähig gemacht werde, wird von vielen Linken gewiß als ein Fanal zur Wiederbelebung einer zügellos-reaktionären antikommunistischen Kampagne gedeutet.

Es gibt gute Gründe, sich mit einer solchen Interpretation nicht zu bescheiden. Denn Kohls Polemik weckt nicht nur Erinnerungen an üble Kampagnen reaktionärer Glaubenskrieger, sondern auch an die Instrumentalisierung dieser Kampagnen durch die Marxismus-Leninismus-Totalitaristen bei ihrem Kampf gegen die freiheitliche Linke. Gerade in Deutschland erzielte dieses Kritik-Muster nachhaltige Wirkungen. Eine Art kommunistische Gehirnwäsche, die auch demokratisch gesonnene Linke blind machte für die Verbrechen jenseits der Mauer. Erdacht in den ideologischen und geheimdienstlichen Zentralen des realsozialistischen Machtbereichs, von Vorfeldorganisationen auf leisen Sohlen in den Westen getragen und von vielen Gutgläubigen weit über den kommunistischen Einflußbereich hinaus verbreitet.

Diese Immunisierungsstrategie hatte fatale Folgen. Sie führte dazu, daß der berechtigte Antikommunismus aus konservativer wie linksunabhängiger Quelle als Fortschrittsfeindlichkeit denunziert wurde – als Propaganda reaktionärer Kräfte. Joachim Gauck, der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, hat jüngst das Problem präzise benannt. „Wer nicht imstande ist, gegen die Wegnahme von Freiheits- und Persönlichkeitsrechten durch Kommunisten eine antikommunistische Antwort zu geben, der verfehlt Tugenden, die ein wirklicher Antifaschist hat. Antifaschismus und eine bestimmte Form des Antikommunismus gehören historisch zusammen. Und es ist richtig, daß man den Anti-Antikommunismus bekämpfen muß.“

In diesen Zusammenhang gehört Kohls SPD-PDS- Kritik. Sie als reaktionären Antikommunismus zu denunzieren fällt auf die Anti-Antikommunisten zurück. Tatsächlich markieren ja die Magdeburger Verhältnisse einen bedeutsamen Wendepunkt im Umgang mit der Nachfolgepartei der SED. Nicht die Wende an sich ist dabei das Problem, sondern das politisch Verhängnisvolle ergibt sich aus der geräuschlosen Implementierung dieser Politik. Tatsächlich wird jetzt eine ehemals kommunistische Partei ohne jede Debatte über ihre demokratische Läuterung salonfähig gemacht. Mit schlimmen Folgen – nicht zuletzt für die demokratischen Kräfte innerhalb der PDS selbst. Die Partei insgesamt verweigert nämlich zur Zeit eine Klärung ihres ideologischen Standortes und bietet jenen Kräften ein breites Betätigungsfeld, die dem totalitären Marxismus-Leninismus nach wie vor anhängen. Wer in seinen Reihen eine „kommunistische Plattform“ toleriert, deren Sprecherin Wagenknecht – übrigens Mitglied im PDS-Vorstand – die 89er Wende „als Konterrevolution zwischen Elbe und Oder“ bezeichnet, kann kein Partner von Demokraten und insbesondere nicht von Sozialdemokraten und Bündnisgrünen sein – die Konterrevolutionäre par excellence für jeden ML-Anhänger.

Wenn wegen kurzfristiger taktischer Vorteile die demokratische Linke wichtige Grenzen aufgibt, darf man sich nicht wundern über die Renaissance einer Ideologie, die vorgibt, die Menschen zu befreien, in Wahrheit aber den einzelnen Menschen zur Verfügungsmasse einer politischen Macht degradiert. Überall da, wo die Marxisten-Leninisten die Macht erobert haben, ist genau das geschehen. Nicht wegen individueller Fehlleistungen kommunistischer Führer, sondern wegen der den Marxismus-Leninismus konstituierenden, zur Demokratie in einem antagonistischen Verhältnis stehenden Prinzipien. Die Diktatur der Arbeiterklasse endet nicht im Paradies, sondern auf dem Platz des Himmlischen Friedens. Hier ordnet sich der aus verantwortungsloser Gedankenlosigkeit geborene „Sündenfall“ Magdeburg ein. Die CDU hat jedes Recht, dies der rot-grünen Opposition vorzuhalten. Reaktionär ist daran nichts. Gegen das gerade in Krisenzeiten populäre Gift totalitärer Ideologien hilft nur eine öffentliche Debatte. Darum hat sich Kohl am Wochenende verdient gemacht. Walter Jakobs