Alltäglicher Anti-Tatort

■ Thomas Schadt dokumentiert die Arbeit einer Berliner Mordkommission

„Man darf nicht alles an sich herankommen lassen“, erklärt Kriminalhauptkommissar Gebauer, und sein Kollege Kasbaum findet „Angst immer auch gut“. Damit einen die Routine nicht zu Leichtsinn verleitet.

Die alltägliche Routine im Umgang mit der Gewalt ist der Hauptfeind der siebenköpfigen Berliner Mordkommission, da hilft auch das Schußwaffentraining wenig. Der Alltag des M1/4 hat mit den „Tatort“-Krimis derart wenig gemein, daß Peter Engelmann daheim vor dem Fernseher den TV-Täter fast nie errät. Seine Frau ist da viel findiger. Die Kommissarsgattin ist offenbar mit der dramatischen Logik von Serienkrimis besser vertraut.

Thomas Schadt, der mit seiner Dokumentation „Der Autobahnkrieg“ (1991) auf sich aufmerksam machte, hat sich dem M1/4 eine Woche lang angeschlossen. Am 24.1.94 wird in der Berliner Innenstadt ein russischer Ikonenhändler erschossen aufgefunden. Bereits wenige Stunden nach der Tat setzt sich die Maschinerie der Mordkommission in Gang: In den kommenden sieben Tagen werden die Ermittler 110 Stunden Dienst tun, über hundert Zeugen vernehmen, 70 Protokolle schreiben. Sie werden wenig zur Ruhe kommen und noch weniger Erfolg haben: erst Hinweise anderer Kunsthändler führen die Berliner Polizei zwei Wochen später zu dem Tatverdächtigen. Der russische Ikonenschmuggler Wladimir Swintkowski wartet derzeit auf seinen Prozeß.

Zunächst aber fahndet das M1/4 nach einem Unbekannten namens „Mischa“. Von ihm versprechen sich die Ermittler die sogenannten „sachdienlichen Hinweise“, die die Spurenermittlung in diesem Fall nicht beibringen konnte. Kein Papier wurde in der Galerie des Ermordeten unberührt gelassen, denn „Hinweise finden sich an den dollsten Stellen“, wie der Erkennungsdienstleiter aus Erfahrung weiß. Dennoch tappt die Kommission in der Mordsache Gleser den ganzen Film über im dunkeln, eine Spur nach der anderen verliert sich im Sande. Der Hauptverdächtige Mischa wird in mühsamer Kleinarbeit ermittelt. Seine Wohnung wird durchsucht. Mit „rumschnüffeln“ habe das nichts zu tun, entschuldigt sich Hauptkommissar Manfred Vogt, während er die Wäscheschränke inspiziert. Seine Waffe läßt er dabei sicherheitshalber gehalftert. Jederzeit könnte ein Komplize die Wohnung betreten. Die Gefahr, so sagt ihm seine Routine, droht überall – selbst in einem verlassenen Schlafzimmer.

Obwohl Thomas Schadt die Kommissare Tag und Nacht begleitet, bleibt seine Dokumentation seltsam blutleer. Zu bedacht sind die Kriminalen darauf, nur ja kein falsches Wort zu wählen. Wie in ihren Protokollen oder auf den Pressekonferenzen reden sie im bedächtig abgewogenen Verlautbarungston – staatstreu eben.

Der Fall selbst verwirrt sich in den 90 Minuten der Reportage denn auch mehr, statt daß er sich klärt. Eine Spur führt in ein tschechisches Hotel, wo zwei Verdächtige abgestiegen sind. Bis aber die Sprachbarrieren zwischen Berlin und Prag abgebaut sind und die dortige Polizei sich zur Amtshilfe entschlossen hat, sind die Gesuchten schon wieder auf und davon. „Die arbeiten da eben etwas langsamer“, zuckt Thomas Kasbaum die Achseln. Unterm Strich waren seine stundenlangen Ferngespräche also total sinnlos.

Ein etwas naheliegenderer, alltäglicherer Fall wäre der Dokumentation sicher dienlicher gewesen. Das Klein-Klein der Arbeitsroutine allein macht noch keinen erhellenden TV-Beitrag aus. Etwas mehr Kommentar und weniger schlecht verständliche O-Töne wären zwar weniger ehrgeizig, aber durchaus hilfreich gewesen. So jedoch enthüllt sich die Frage, wer da eigentlich im Namen des Volkes die bösen Buben verfolgt, besser in so realitätsnahen Fiktionen wie Meichsners „Schwarz- Rot-Gold“. Wobei der reale Kommissionsleiter Vogt dem erdachten Zaluskowski erschreckend ähnlich ist. Klaudia Brunst

„Mordkommission MI/4“, 23 Uhr, ARD