Bayerns LKA war der Plutoniumkunde

■ Verdeckte Ermittler ließen das Supergift mit Linienmaschine einfliegen / Deutsche Behörden: Es kommt aus militärischer Anlage der Ex-UdSSR

München (taz/dpa) – Das bislang größte sichergestellte Schmuggelpaket mit Plutonium kam auf Bestellung des Bundesnachrichtendienstes in die Bundesrepublik. Wie Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) gestern mitteilte, befanden sich in dem Päckchen, das Beamte des bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) vergangene Woche in München programmgemäß „sicherstellten“, 300 bis 350 Gramm hochangereichertes Plutonium 239 mit einem Reinheitsgrad von 87 Prozent.

Das hochgiftige und atomwaffentaugliche Material war im Gepäck zweier Spanier und eines Kolumbianers in einer Linienmaschine von Moskau nach München mitgeflogen. In dem „leicht verstrahlten Koffer“ hätten sich insgesamt 560 Gramm radioaktiven Materials, darunter auch Uran, befunden, teilte der Präsident des bayerischen LKA, Hermann Ziegenaus, gestern mit. Sechs bis zehn Kilogramm Plutonium reichen für den Bau einer Atomwaffe aus.

Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) betonte, bei dem Einsatz sei die bundesweit und wahrscheinlich auch weltweit größte Menge atomwaffenfähigen Materials sichergestellt worden.

Derartige Fahndungsaktionen sind durchaus umstritten. Anette Schaper von der hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung kritisiert im taz-Interview, Geheimdienstler und auch westliche Journalisten hätten den Markt für atomares Schmuggelgut angeheizt.

Nach Aussage Ziegenaus' haben die drei verhafteten Täter den Fahndern des LKA vier Kilo Plutonium für 388 Millionen Mark angeboten. Geld sei bei der Aktion aber nicht bezahlt worden. Das Atommaterial sei in einem Hartschalenkoffer transportiert worden. Für die Behörden steht fest, daß das Material aus einer militärischen Einrichtung in der ehemaligen Sowjetunion stammen muß. Plutonium mit einem Anreicherungsgrad von 86 bis 87 Prozent falle in herkömmlichen Kraftwerken nicht an.

Das russische Atomenergieministerium betonte gestern in Moskau, aus russischen Atomanlagen sei kein waffenfähiges Material verschwunden. In allen russischen Atomzentralen habe auf Bitten von Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) eine Kontrolle stattgefunden, aber nirgends habe Plutonium 239 oder Uran 235 gefehlt. Minister Beckstein sprach von einer „Kriminalität der neuen Dimension“, die nur durch die Zusammenarbeit aller zuständigen Behörden aufgedeckt werden konnte. Der entscheidende Hinweis sei vom Bundesnachrichtendienst gekommen. Beckstein sagte, für eine Verwicklung von Mitgliedern der Sicherheitsbehörden im Herkunftsland spreche die Tatsache, daß das Material offenbar aus einer „hochgeschützten militärischen Anlage“ stamme, dort aber „nicht vermißt“ werde. Zudem hätten die Täter eingeräumt, sie hätten von der Anwesenheit des russischen Vizeministers für Atomenergie, Viktor Sidorenko, an Bord der Lufthansa- Maschine gewußt und sich davon Vorteile bei der Gepäckkontrolle erhofft. Die drei verhafteten Männer sind allerdings nach Angaben von LKA-Chef Ziegenaus nicht Mitglieder einer internationalen Terrorgruppe.

Der CSU-Politiker nutzte gestern die erfolgreiche Bestellung des Ultragifts durch deutsche Beamte dazu, Gesetzesverschärfungen zu fordern: lebenslängliche Haftstrafen für bandenmäßig organisierte Atomschmuggler, den sogenannten Großen Lauschangriff und Straffreiheit für verdeckte Ermittler. Zudem müßten Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz bei der Bekämpfung des Organisierten Verbrechens eingeschaltet werden. Interview Seite 6, Kommentar Seite 10