Lehrstunden für die Welt

■ Mit einem überzeugenden 137:91 gegen Rußland holten sich die NBA-Stars aus den USA im Skydome von Toronto den Weltmeistertitel im Basketball

Toronto/Berlin (taz) – „Die Abwehr und die Bank“, antwortete Paul Westphal, Coach der Phoenix Suns, einmal auf die Frage, was hauptsächlich den Unterschied zwischen den europäischen Basketballmannschaften und den NBA-Klubs ausmache. Bei den meisten Spielen während der Weltmeisterschaft in Kanada vernachlässigte das „Pseudo-Dream- Team“ (El Pais) aus den USA die Abwehr sträflich und mußte die zweite Option bemühen, um die Gegner zu zermürben und am Ende deutlich in die Knie zu zwingen. In der ersten Halbzeit konnten fast alle Mannschaften mit den NBA-Cracks einigermaßen mithalten, wenn aber dann die besten Spieler müde wurden und sich eine Pause gönnten, holte US-Coach Don Nelson einfach Leute wie Shaquille O'Neal, Reggie Miller, Dominique Wilkins oder Alonzo Mourning von der Bank, die den geschwächten Kontrahenten binnen weniger Minuten in Grund und Boden spielten.

Nicht so im Finale gegen Rußland. Gewarnt durch das letzte Viertelfinalmatch, als die USA die geballte Wucht von Shaquille O'Neal und seine 21 Punkte benötigten, um die ballzaubernden Russen mit 111:94 zu bezwingen, waren sie vor 32.616 Zuschauern im Skydome von Toronto erstmals wirklich traumhaft. Von der ersten Sekunde an konzentriert, giftig in der Verteidigung und von unglaublicher Treffsicherheit, ließen sie die Russen kaum zum Luftholen kommen. Der erste Fehlwurf unterlief ihnen nach sechs Minuten, da führten sie bereits 27:12, und Rußlands überragender Spielmacher Sergej Bazarewitsch begab sich frustriert auf die Bank.

Im Halbfinale hatten die Russen das favorisierte Kroatien vor allem dadurch bezwungen, daß sie die NBA-Cracks Toni Kukoc und Dino Radja fast total ausschalteten, gegen das variable Angriffsspiel des Dream Team waren sie machtlos. Joe Dumars traf beharrlich aus der Distanz, und unter dem Korb waren Derrick Coleman und Shawn Kemp nicht zu stoppen. Aber der Vize-Europameister versteckte sich nicht, verzichtete darauf, das Tempo zu verschleppen und suchte selbst den schnellen Korberfolg. Sergej Babkow (22 Punkte) hatte einen guten Tag, und auch Bazarewitsch, der beste Spieler dieser WM, der nicht ein US-Trikot trug, kam häufiger zum Zug. Immer wieder wand sich der 29jährige, der im türkischen Bursa spielt, schlangengleich durch die gegnerische Abwehr, glänzte mit erlesenen Anspielen und erzielte selbst 17 Punkte, wohlwissend, daß es nicht nur um ein respektables Resultat, sondern auch um einen Job in der NBA ging.

Als Shaquille O'Neal (18), Dominique Wilkins (20) und Alonzo Mourning (16), die besten Werfer der USA an diesem Tag, ins Spiel eingriffen, war längst alles gelaufen. 73:40 stand es zur Halbzeit, danach verlor die Partie etwas an Schwung, die USA verlegten sich auf Dreipunktewürfe, am Ende hieß es 137:91, und endlich konnten sich die Akteure des „Teams von Träumern“ (Michael Jordan) die für sie reservierten Medaillen umhängen lassen, über die sich die Dollar-Millionäre wie kleine Schuljungen freuten.

„Klar, wir wußten vorher, daß wir sie gewinnen, doch heute ist der größte Tag in meiner Karriere“, jubilierte Mark Price. Bevor die NBA-Stars im Downtown-Hotel „Four Seasons“ bis tief in die Nacht das Gold begossen, faßten sie ihre Überlegenheit noch einmal in markige Worte. „Selbst wenn wir mit der linken Hand geworfen hätten, wären wir Weltmeister geworden“, verkündete Reggie Miller (Indiana). „Für mich waren das nette Ferien, ein feines Sommercamp“, diktierte Shawn Kemp, in Seattle Mannschaftskollege des Deutschen Detlef Schrempf. Von einer pädagogischen Tat sprach Playmaker Kevin Johnson (Phoenix): „Die anderen Länder konnten viel lernen, uns hat das hier wenig gebracht.“

330.000 Zuschauer sahen die WM-Spiele in Kanada – ein neuer Rekord. In das All-Star-Team des Turniers wurden mit O'Neal, Kemp und Miller drei US-Spieler gewählt, dazu Bazarewitsch und Dino Radja. Der Center der Kroaten, die sich nach dem 78:60 über Griechenland mit Bronze trösten konnten, kündigte am Rande seinen Rückzug aus dem Nationalteam an. „Ich weiß, wie wichtig in diesen Zeiten der Basketball für unser Volk ist. Doch ich kann nicht 20 Jahre für Kroatien spielen“, sagte Radja, der sein Geld bei den Boston Celtics verdient. Andreas Burkert/Matti Lieske