Ohne einen Hauch von Klassenkampf

■ Eine Studie zum Thema „Arbeit 2000“: Mit neuem Arbeitsrecht in die neue Zeit

Hinter den Werkstoren endet bekanntlich die Demokratie. Selbst die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit steht in den Betrieben unter einem besonderen Vorbehalt. Schon das Tragen einer „Anti-Strauß-Plakette“ bedroht den Betriebsfrieden und rechtfertigt die Kündigung. So hat das Bundesarbeitsgericht 1982 entschieden. Ist es denkbar, daß in dieser düsteren, auf Unterordnung und Anpassung angelegten Umgebung neue, zukunftsträchtige Ideen gedeihen? Nein, natürlich nicht, sagen die AutorInnen der Studie „Arbeit 2000“ und plädieren für einen Rollentausch. Aus ArbeitnehmerInnen sollen durch eine grundlegende Reform des Arbeits- und Sozialrechts „gesellschaftlich verantwortliche BürgerInnen im Betrieb“ werden. Für die AutorInnen, Juristen, Sozialwissenschaftler und Politologen aus dem eher linken Wissenschaftsbetrieb besteht kein Zweifel daran, daß „mehr freie Artikulation, Partizipation und Selbstbestimmung heute praktisch möglich ist“. Allein, es fehlt der Wille. Die politischen Akteure – und damit das Rechtssystem – hinken, mal wieder, hinterher. Mit dieser erstaunlichen Argumentation kommt ein Buch daher, dessen AutorInnen sich nicht weniger vorgenommen haben, als „die Anforderungen an eine Neugestaltung der Arbeitswelt“ zu formulieren. Dafür basiert die Analyse doch auf relativ dünnem Fundament. Vergessen sind die Argumentationsketten aus verstaubten marxistischen Oberseminaren. Nun trübt der so oft beschworene antagonistische Widerspruch zwischen Arbeit und Kapital nicht länger die Selbstverwirklichung der „BürgerInnen im Betrieb“, sondern der Gesetzgeber und einige verstockte Funktionäre der Sozialpartner sind die bösen Buben. Dazu paßt, daß sich in dem knapp 500 Seiten starken Band so gut wie kein Wort zur Bedeutung der Eigentumsverhältnisse am Produktivkapital findet.

Alles Interesse gilt der Neugestaltung des Arbeitsverhältnisses auf kapitalistischer Grundlage. Einen Riesenvorteil hat dies aber auf jeden Fall: So vermeidet man ideologische Scheingefechte. Das Feld wird statt dessen frei zur präzisen Benennung der notwendigen Reformen. Das Anliegen ist klar: Es geht der Autorengruppe vornehmlich darum, das „Arbeitsverhältnisrecht“ an die durch zunehmende Individualisierung gekennzeichnete Realität anzupassen und der Erosion des normalen Vollzeitarbeitsverhältnisses Rechnung zu tragen. Nur noch 25 Prozent aller Beschäftigten in Deutschland arbeiten inzwischen in einem klassisch abgesicherten „Normalarbeitsverhältnis“.

Reregulierung statt Deregulierung

Das Schimpfen auf die neoliberale Deregulierungswelle hilft da wenig. Ohne eine Reregulierung des Arbeitsrechtes, das ist die zentrale These, „werden sich die Chancen des Individualisierungsprozesses nicht in einem sozialverträglichen Sinne einlösen lassen“. Weitere gesellschaftliche Desintegrationsprozesse wären die Folge.

Um das abzuwenden, geht es den AutorInnen darum, das heutige Arbeitsverhältnis in eine vertraglich fixierte „Diskursbeziehung“ umzuwandeln. Dazu müsse das geltende Direktions- und Weisungsrecht mindestens durch eine „Diskurspflicht“ ergänzt werden. Autonomiezugewinne soll darüber hinaus ein temporäres „Arbeitsverweigerungsrecht“ liefern. Was die Gewährung von mehr Kommunikation, mehr Kooperation, mehr Zeitsouveränität, mehr Demokratie und die Neuregelung des Geschlechterverhältnisses im betrieblichen Alltag die Unternehmen letztlich kosten würde, wissen die AutorInnen auch nicht zu beziffern. Sicher ist aber, daß den Kosten auch erhebliche Kooperationsgewinne gegenüberstünden. Eine ganze Reihe von Unternehmen setzt inzwischen motivationsstiftende demokratische Elemente als Mittel der Produktivitätssteigerung ein. Alte Hierarchiemodelle beginnen zu bröckeln. Und immer mehr Unternehmen gewähren ohne große Effizienzeinbußen weitreichende Arbeitszeitmodelle – jenseits der Normalarbeitszeit.

Auf der Mikroebene, das belegt die faktenreiche Studie, tut sich eine ganze Menge. Bisher tabubehaftete Alternativen sind machbar. Am Beispiel des jüngsten Tarifkampfes in der Druckindustrie zeigt sich aber auch, welche Barrieren sich auftun, wenn es um die Umsetzung von mehr Demokratie, Zeitsouveränität und Gleichberechtigung in einem größeren Rahmen geht. All das wollte die IG Medien in einem neuen Manteltarifvertrag festschreiben und stieß dabei auf den erbittertsten Widerstand der Unternehmer. Wolfgang Pütz, Druckereibesitzer und Verhandlungsführer der Arbeitgeber, wähnte die IG Medien, die eben nicht auf Lohnprozente aus war, schon auf einem sozialistischen Kurs und sprach vom „Mißbrauch der Tarifpolitik“. Das Ergebnis ist bekannt: Mit keiner der schönen Forderungen kam die Gewerkschaft durch.

Die AutorInnen machen es sich ein bißchen einfach, wenn sie nur den großen Parteien ihre „schockierend dürftigen“ Vorschläge zur Lösung der sozialen Probleme vorhalten. Nein, die viel machtvolleren Bremser sitzen in den Konzern-, Bank- und Verbandszentralen des Landes. Im „konsensualen Diskurs“ ist aber von denen nur das zu holen, was ihre Profit- und Machtbasis nicht schmälert. Wenn's denn den „BürgerInnen im Betrieb“ dient! Walter Jakobs

H. Matthies/ U. Mückenberger/ C.Offe/ E. Peter/ S. Raasch: „Arbeit 2000. Anforderungen an eine Neugestaltung der Arbeitswelt – Eine Studie der Hans-Böckler- Stiftung“. rororo aktuell 13565, 471 Seiten, 19,90 DM